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Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Titel: Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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ich heute Abend schon mitgehen muss zu Monas Freundin Lydia und ihrer sterbenslangweiligen Grillfete, dann will ich wenigstens auf die Zahl am Arm angesprochen werden. Angeben ist Ausdauersportlern allemal wichtiger als Training. »In diesem albernen T-Shirt nehme ich dich nicht mit«, belfert Mona, während sie eine CD mit tibetischem Klangschalen-Schmus in Geschenkpapier zwängt. »Wieso, das ist total angesagt«, entgegne ich trendkompetent, »vintage und so.« Mona schnaubt. »Na gut, bleibe ich eben zu Hause«, maule ich, »oder geh trainieren. Friss dich doch alleine fett.« Meine Gattin nimmt mich in den Polizeigriff und schleppt mich zum Auto.
    Lydia und ihr Langeweiler-Freund Conny wohnen in Kleinmachnow in einer Reihenhaussiedlung, die auch in Coesfeld oder Eschborn stehen könnte. Vor jedem Haus parkt ein alberner Geländewagen, hinter jedem Haus qualmt ein Grill. Die Frauen hier besitzen alle Stepper und Schwitzgürtel aus dem TV-Shop und sparen für eine Rundum-Schönheits-OP.
    Conny hat eine Schürze um, auf der ein nackter Frauenleib abgebildet ist. Das ist seine Sorte Humor. Er arbeitet als »Finanzdienstleister«, vulgo Lebensversicherungsaufschwatzer. Conny spielt Golf, die Schläger hat er gut sichtbar in seiner schwarzen
Geländekarre drapiert. Er erzählt, was jeder Golfer erzählt: »So entspannend, totale Herausforderung.« Aber auf dem Grill reicht es nur für fettes Bauchfleisch von einem Schwein, das den Kaiser noch erlebt hat. Der Nachbar ist auch da, er heißt Maik, macht keinen Schritt ohne die Pulle Lübzer. Ossi. Fußballproll. Trägt Union-Trikot und Dreiviertelhosen mit Bändsel, Flip-Flops mit Blumen und einen MP3-Player um den Hals. Nichts ist peinlicher als Väter, die versuchen, flippiger als ihre Söhne auszusehen. Maiks adipöser Spross ist Ersatztorwart in der 5. C-Jugend von Kleinmachnow.
    Lydia lobt ihr »Low-carb-Buffet«, das vor allem aus matschigen Zucchini-Lappen und Paprikastreifen besteht. Die homöopathische Menge Fladenbrot, die die Hausherrin spendiert hatte, klebt längst in Connys Verdauungstrakt. »Kannste dich wenigstens mal waschen, wennste dich bei anderen Leuten durchfrisst?«, mault Conny auf seine plumpvertrauliche Art und zeigt auf meinen Arm. Danke, Conny, danke für diese Volley-Vorlage. »Was?«, frage ich, als wüsste ich gar nicht, was er meint. »Ach so, das ist nur die Startnummer vom Triathlon letztes Wochenende, die geht so schwer ab«, sage ich sehr beiläufig. Andächtiges Schweigen. »Dett ist doch Rad fahren, Laufen, Schwimmen«, erkundigt sich der dicke Maik. »Aber nur olympisch«, erkläre ich gnädig, »kein Ironman. Dafür fehlt mir einfach die Zeit.«
    Die Männer nicken schweigend und gucken verstohlen an sich herab. Von Connys Stirn tropft Schweiß auf den Grill. Ich weiß, dass beide sich und ihre Wampen verfluchen. Ich weiß auch, dass unsere Frauen dem Gespräch sehr genau zuhören, das merkt man an der ungewohnten Stille im Großraum Hollywoodschaukel. »… er wird immer besser«, höre ich Mona wispern. Heute Abend werden sich die Herren noch was anhören müssen, jede Wette. Mein Mönchen dagegen wird stolz auf mich sein. »Im Herbst fange ich das Laufen auch wieder an«, sagt Maik. »Nee, klar«, sage ich. Wir machen uns noch ein Bier auf. Vom Golfen hat Conny den ganzen Abend nicht mehr erzählt.

Sozialprestige
    Außer Autos, Frauen, Handys, Uhren, Schuhen, Urlaubszielen, Wein, Zigarren, Brillen, Stühlen, Computern und Schreibgeräten ist es ja vor allem der Sport, der die breite bürgerliche Mitte Deutschlands sortiert. Der Fußballer rangiert eher am unteren Ende der Sozialprestige-Skala, während Golfer, Segler (wichtig: eigenes Boot!) und Reiter (eigenes Pferd!) das obere Ende zieren. Es gibt nur einen Sport, der alle toppt: Marathon, besser noch Triathlon. Einen solchen Wettbewerb beendet zu haben, das kann sich niemand erkaufen. Ausdauersport ist ein Stück soziale Gerechtigkeit.

Was ist schöner als Marathon-Laufen? Beim Marathon zugucken. Was ist eigentlich peinlicher? Die Krücken am Ende des Feldes oder ihre Angehörigen am Straßenrand?
    Â 
    Sonntag war S/M-Tag. Zehntausende Masos auf Berlins Straßen. Und ich der grienende Sado, direkt am KaDeWe, mit der großen gelben Winkehand aus Pappe von Powerbar. Da, wo grundlos euphorisierte

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