Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
mit Abscheu an. Man möchte ja wenigstens anspruchsvoll veräppelt werden. Besiegen Sie Ihren inneren Schweinehund, schreien die Strunze. Warum soll ich ihm wehtun? Ich mag meinen Schweinehund. Er ist wie ich. Er will auch nicht laufen. Der einzige sympathische Hund auf der ganzen Welt. Du brauchst ein Ziel, sagt Steffny. Welches Ziel? Der November ist der brutalste Monat des Läufers. Zeit ohne Ziele. Saison vorbei. Ich war schlecht wie immer. Das nächste Rennen ist noch weit. Und ich werde nicht besser sein. Also Sofa.
Mir ist schlecht. Vielleicht hätte ich die 1000-Gramm-Packung mit den puddinggefüllten italienischen Keksen als Betthupferl aufbewahren sollen. Auf die drei Kohlrouladen mit Rahmwirsing von heute Mittag kommen die Kekse gar nicht gut. Schon gar nicht mit der klebrigen Lage dazwischen, einer Doppelportion Amaretto-Eis, das sich um die Bratkartoffeln schmiegt. Wer im Lauftraining steckt, kann essen, was er will und wird nicht dicker. Ich esse, was ich will. Aber ich laufe gerade nicht. Gestern habe ich ein neues Loch in den Gürtel gebohrt.
Ich sollte mich mal wieder auf die Waage stellen. Lieber nicht. Das Ding zeigt sehr unsauber an. Der Schock wäre womöglich groÃ, und meine Motivation völlig dahin. Morgen gehe ich zum Arzt. Er wird mir eine Laktatallergie bescheinigen. Vielleicht darf
ich in den Computertomographen. Jeder hat eine exotische Krankheit. Nur ich nicht.
Ich kann nicht so einfach wieder anfangen. Es wird wehtun. Ich werde mich hassen für meine Langsamkeit. Alle werden auf mich zeigen und grienen. Ich, der einsamste Mensch im Land des Hechelns. Quälende Sinnfragen: Warum soll ich laufen? Ich werde eh nicht schneller. Kenne jeden Feldweg. Habe panische Angst vor Kälte. Wozu halten Tiere Winterschlaf? Zu Recht. Mir reicht der Gedanke, dass ich wieder anfangen könnte, jetzt sofort, wenn es sein müsste. Aber es muss ja nicht sein.
Der Schlüssel klimpert in der Tür. Mona und Karl kommen zurück. Ich stelle mich schlafend. Karl springt mir auf den Bauch. »Schön weich«, sagt er. Ich bin für die Wiedereinführung der Prügelstrafe. »Hast du etwa zweieinhalb Stunden auf dem Sofa gelegen?«, fragt mich meine hyperaktive Gattin. »Natürlich nicht«, sage ich, nahezu wahrheitsgemäÃ. SchlieÃlich bin ich zweimal aufgestanden, um den Kühlschrank nach einer kleinen Zwischenmahlzeit zu durchsuchen. Der Hungerast ist ja das Schlimmste, was Läufern passieren kann.
Richtig regenerieren
Der Herbst ist die Zeit des Abhängens. Knochen schonen, ausschlafen, den Regen mal aus geschlossenen Räumen erfahren und nicht immer als Peitsche im Gesicht. Aber Vorsicht: Regeneration kann zur Sucht werden. Ein festes Datum für den Neustart anpeilen und möglichst auch einhalten. Sieger werden im Winter gemacht, die alte Läuferweisheit gilt immer. Nur heute nicht. Ist gerade so schön warm und weich auf dem Sofa. Morgen gehtâs wieder los. Versprochen.
Wer regelmäÃig das Training schwänzt, der hat zum Saisonstart nur eine groÃe Hoffnung: dass wenigstens die Sterne günstig stehen. Im groÃen Läuferhoroskop erklärt Achim Achilles, welches Sternzeichen worauf achten muss.
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Verdammt, wo sind meine magischen Socken? Ich kann nicht loslaufen ohne meine Zauberstrümpfe. Schon zum dritten Mal wühle ich das Klamottenfach durch. Dicke Socken, dünne Socken, schwarze Socken, aber keine magischen. »Meinst du die hier?«, fragt Mona. Meine Gattin steht an der Fensterbank, wo unser Friedhof der Single-Socken liegt, und hält mit spitzen Fingern ein trauriges Stück Textil in die Höhe. Da ist sie ja, meine kleine SüÃe.
Vor ungefähr drei Jahren bin ich genau in dieser Socke, damals nagelneu, weit über eine Stunde gelaufen und nichts, wirklich gar nichts tat weh. Es war eine Art läuferisches Lourdes, ein Wunder. Seither mache ich keinen Laufschritt mehr ohne meine magischen Socken.
»Wo ist die andere?«, frage ich Mona. Sie zuckt mit den Schultern. Oh nein, bitte das nicht. Sollte die zweite magische Socke tatsächlich verschwunden sein? Ich falle auf die Knie und suche unter dem Bett. Nichts. Hinter dem Schrank? Nichts. Neben dem Wäschekorb? Nichts. Tiefe Läufer-Depression befällt mich. Ich werde nie wieder glücklich laufen können.
Mit den Jahren wächst der Aberglaube sich bei Läufern zu einer massiven Macke aus. Wenn weder
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