Achilles Verse
bessere, durchblutetere Liebhaber sind als Normalos, ist in der Forschung nicht restlos geklärt. Der Testosteronspiegel immerhin soll bei laufenden Männern höher liegen und damit das körperliche Verlangen. Auch wenn Trainer ihren Athleten vor wichtigen Wettkämpfen Sex-Verbot erteilen, glauben die wenigsten an leistungsmindernde Auswirkungen. Die Triathletin Astrid Benöhr hält eine nächtliche Sondertrainingseinheit für entspannend. Es gilt eben für alle Muskeln: »Use it or loose it!« Für Schwellkörper übrigens auch.
Rein statistisch sind Läufer nach Frauen und Katholiken ungefähr die dritt größte Wählergruppe in Deutschland. Sie sind zudem vorbildliche Bürger, Avantgardisten der globalisierten Gesellschaft und billig im Unterhalt. Es ist Zeit, eine Partei für Läufer zu gründen.
Auch wenn man vor den meisten Politikern am liebsten einfach nur weglaufen möchte: Es gibt mindestens sechs gute Gründe, eine eigene Partei für uns Aktive ins Leben zu rufen.
Läufer sind die Idealbesetzung für jegliche Krise, denn sie kurbeln den Binnenkonsum an. Keine andere Bevölkerungsgruppe, außer vielleicht Zuschauer von TV-Shoppingkanälen, ist bereit, für jeden Unsinn dermaßen viel Geld auszugeben: für absurde Pillen, Bücher, Magazine, Horror-Videos mit Doc Nightmare Strunz, für hässliche Plastikwäsche oder nur für das Startgeld eines Marathons, um sich dort die Lunge aus dem Leib rennen zu dürfen.
Vor allem aber sind sie mustergültige Energieverbrenner: Wenn, sagen wir, täglich drei Millionen Läufer eine Stunde trainieren und dabei 400 Kalorien zusätzlich verbrennen, dann macht das 200 Millionen zusätzlich verkaufte Nudelteller im Jahr, genug, um alle italienischen Restaurants im Großraum Berlin zu füllen, oder rund eine Milliarde Beutel mit hochkonzentriertem Maltodextrin,
womit klar wäre, welche Aktien wirklich Rendite versprechen. Weil sie für ihr exklusives Hobby viel Geld verdienen müssen, sind Läufer meistens auch gute Steuerzahler.
Läufer sind die Helden des Gesundheitswesens. Entweder sind sie gesund, weil sie sich so viel an der frischen Luft bewegen. So entlasten sie das System. Oder sie sind verletzt, womit sie hoch qualifizierte Arbeitsplätze in Apotheke, Rehaklinik und Kniemanschettenindustrie schaffen. Das Gleiche gilt für die Rentenkasse: Denn Läufer sterben früh, weil sie nach einer verschleppten Grippe zu früh wieder anfangen zu trainieren und am Infarkt infolge einer Herzmuskelentzündung krepieren.
Läufer sind total verständnisvolle Menschengernhaber, wie Claudia Roth sie sich wünscht. Praktisch täglich akzeptieren sie Niederlagen, gegen sich selbst oder den Idioten, der sie auf den letzten Metern überholt hat. Und sie tragen immer T-Shirts, auf denen etwas von Frieden, Miteinander, Freude oder Umweltschutz steht. Und wie kann man eindrucksvoller seine Gefühle zeigen, als im Ziel heulend und schüttelfrostbibbernd zusammenzubrechen, um sich dann schwungvoll zu übergeben.
Läufer sind liberale Leistungsfetischisten. Sie wollen immer besser werden, kämpfen verbissen um Millimeter, Gramm und Nanosekunden. Läufer sind hungrig, so wie es sich in globalisierten Zeiten für Sieger gehört. Es ist genau diese FDP-Mentalität, vor der Chinesen, Inder, der ganze Weltmarkt sich fürchtet. Wir sind immer noch wer: »Made in Germany« lebt, zumindest beim Volkslauf.
Läufer sind engagierte Mitmacher, Motoren der aktiven Bürgergesellschaft. Sie organisieren Laufreisen zum Emscher-Nachttriathlon, backen Kuchen für das Geburtstagskind in der Trainingsgruppe, sie rufen sich an, wenn das Tempotraining im Stadion verlegt wird und hängen die ganze Nacht auf Facebook herum, um sich ihre Heldentaten zu berichten. Läufer haben einen Organisationsgrad, von dem etablierte Parteien nur träumen können. Wir sind Freunde, wenn auch nur Sportsfreunde.
Läufer sichern die Demographie, denn sie sind Familienmenschen. Nicht etwa, weil sie Frauen und Kinder gerne haben – sonst würden sie ja nicht so häufig davonlaufen. Nein, sie brauchen einfach nur Personal. Wer anders als eine treu sorgende Gattin stellt sich mit klebrigen Pullen bei Marathon-Kilometer 32 in den strömenden Regen, lässt sich bei der Übergabe von ihrem entkräfteten Gatten anraunzen (»Gib schon her!«) und radelt trotzdem tapfer weiter zu Kilometer 37, wo er eine halbe Stunde später vorbeiwanken wird?
Und nur vom ewigen Warten auf den Vater maximal gelangweilte Kinder erklären sich bereit,
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