Achilles Verse
wie es geht. Bis ganz kurz vorm Wehtun dehnen, rät der Experte. Aber woher soll ich wissen, wann es kurz vor dem Wehtun
ist? Entweder tut es noch nicht weh, dann habe ich nicht genug gezogen. Oder es tut weh, dann war es zu viel. Jede Wette, dass die Weltgemeinschaft der Jogger mehr Verletzungen durch Stretching erlitten hat als durch Nichtdehnen. Letztes Jahr erst bescherte mir herzhaftes Oberschenkeldrücken ein Vierteljahr lang Sehnenqual zwischen linker Hinterbacke und Kniekehle.
Ich bin bekennender Stretch-Muffel. Beineziehen ist langweilig, es sieht Uschi-artig aus und außerdem wackele ich immer, wenn ich eine Hacke mit beiden Händen an den Hintern ziehen soll. Manchmal hüpfe ich dann, um das Gleichgewicht zu halten. Eine entwürdigende Aufführung. Ich war immer elastisch wie ein Amboss und werde es für den Rest meines Lebens bleiben. Meine Fingerspitzen hatten noch nie das Vergnügen, den Boden zu berühren, solange die Knie durchgedrückt waren. Na und? Bin ich Läufer oder Yogi?
Mein Mitläufer Klaus Heinrich ist ein manischer Dehner. Vor jedem Lauf baut er sich gut sichtbar auf und verrenkt sich. Komischerweise immer in der Nähe ebenfalls dehnender Frauen. Klaus Heinrich ist Single und schwört auf permanent-multiple Beziehungen. »Lass uns endlich laufen«, quengle ich. »Noch zwei Minuten«, wispert er zurück, »die Braut da vorne guckt schon.« Natürlich rennen die Frauen immer sofort weg, wenn Klaus Heinrich ein Gespräch über die Vorzüge weichen Waldbodens im Spätsommer anfangen will. Nächsten Samstag mache ich ihn mit meiner Sportsfreundin »Pepe« bekannt.
Zieh!
Jaja, Stretchen ist wichtig. Vorher, nachher, mittendrin. Die Übungen stehen in der Fachliteratur. Achilles hat trotzdem keine Lust dazu. Wozu der Stretch?
Mein Gott, wie sieht der denn aus? Leistung ist Läufern nicht so wichtig – Hauptsache, sie sehen gut aus und tragen teure Klamotten.
Zuerst die schlechte Nachricht: Unsere Teenager sind eine fürchterliche Brut. Bei jungen Leuten dreht sich alles nur um Klamotten, um peinlich große Schriftzüge und Labels oder kleine blöde Abzeichen, die Geschmack und Exklusivität signalisieren sollen, aber in Wirklichkeit nur brüllen: Hemd teuer, Hose sauteuer, Schuhe unbezahlbar.
Jetzt die noch schlechtere Nachricht: Die Eltern dieser Teenager sind wesentlich schlimmer, vor allem, wenn sie laufen. Es ist eine verdammte Lüge, die jedem Anfänger aufgetischt wird: Laufen sei ein ganz billiger Sport, da brauche man nur Sachen, die ohnehin jeder im Schrank hat: die alten Pilzpantinen, das gute alte UCLA-Shirt und die baumwollgraue Bollerbuxe. Ossi-Bräute könnten bei der Gelegenheit gleich ihre Buffalos auftragen. Sohle ist ja genug dran, die reicht locker bis zur nächsten Teilung Deutschlands. Für einen solchen Aufzug braucht man allerdings ein stabiles Gemüt. Denn der Laufweg ist ein Laufsteg und jeder Blick der lieben Sportsfreunde bei ästhetischer Zuwiderhandlung pure Folter, ein Fall für Amnesty International.
Mögen Super-Ökonomen auch stolz auf ihre TCM-Schnäppchen
verweisen, Fakt ist: Keine Szene ist so label- und fashiongeil wie das Läuferpack, höchstens vielleicht noch Rennradfahrer. Bei Klamotten setzt der Verstand aus und jeder pekuniäre Kontrollmechanismus auch: Auf den sechs Kilometern um den Schlachtensee werden Funktionsfasern für viele 100 000 Euro bewegt, wenn auch nur in mäßigem Tempo. Und alle taxieren sich gegenseitig, versuchen aus den Klamotten herauszulesen, wie es um Charakter, Jahreseinkommen und Style-Sicherheit bestellt ist. Die Laufleistung ist egal.
Zum Beispiel die klassische Grunewald-Bewohnerin, dritte Generation Immobilienhaie, stählerner Botoxblick, zart beim Auftritt, damit die Farbe nicht von den Lidern bröckelt. Tempo: Schnappschildkröte auf Valium. Immer in weiß, die Dame, bevorzugt Adidas-Schuhe, die aussehen wie neu. Sind es wahrscheinlich auch, weil sie die anderen weggeworfen hat – waren ja schon ganz schmutzig. Sollte sie wie auch immer zu Kindern gekommen sein, ist sie vor kurzem auf Puma umgestiegen, weil das ja so hipp ist jetzt bei den jungen Leuten. Ihr Fila-Trainingsanzug ist so weiß wie das Joop-Stirnband.
Oder der übergewichtige Jaguar-Fahrer mit dem kantholzigen Ackermann-Blick, der bei jedem Schritt so schwerplatschend landet, als lägen da auf dem Boden seine Angestellten. Ein Schweißbach markiert seinen Laufweg. Alle seine Manager-Kollegen joggen, deswegen ist er auch mal in ein Fachgeschäft
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