Achilles Verse
motivierende Schilder mit Parolen wie »Vati, du schaffst es!« oder »Unser Papa Kalle ist der Größte« zu malen.
Um den Standort Deutschland zu retten, hilft also nur eins: die Gründung einer Läuferpartei, die Allianz der Lauffreunde, kurz ALF. Nur ALF ist in der Lage, dieses Land wieder nach vorn zu bringen: Wir können, wir wollen, wir machen. Wir stopfen keine traurigen Nelken, sondern eine getragene Socke vom Vortag ins Knopfloch, als Nachweis dauernden Bemühens um Höchstleistung, um Binnenkonjunktur, Gesundheitssystem, Demographie und Miteinander. Der Berlin-Marathon wird unser Parteitag, der Lauftreff unsere Ortsvereinsversammlung. Aber Dieter Baumann bitte nicht unser Kanzler.
Bürger Läufer
Läufer sind in der Tat ein politisches Völkchen. Kein Provinzrennen, in dem nicht ein bewegter Athlet für oder gegen etwas demonstriert, und sei es nur mit seinem Friedens-T-Shirt vom »Run for Peace« in Harsewinkel 1987. Beim Marathon finden sich immer wieder Verrückte, die Friedensfahnen über 42 Kilometer tragen. Es ist eine schöne Geste, den Kriegsparteien auf der Welt aber wohl ziemlich egal. Warum Läufer immer Gesinnungen und Appelle loswerden müssen? Wahrscheinlich, um ihrem für die Gesellschaft eher sinn- und nutzlosen Traben irgendeine Bedeutung zu verleihen.
Walker sind nicht von Interesse. Anders verhält es sich, wenn sie weiblich sind, einem berühmten Stinktier ähneln und beim Aufwärmen wie die kleine Schwester von Marlene Dietrich qualmen.
Meine liebste Sportkameradin steht jeden Samstagvormittag auf dem Parkplatz am Berliner S-Bahnhof Grunewald inmitten ihrer Walking-Gruppe. Sieht aus, als hätte ein Laster eine Fuhre Teletubbies verloren. Schwankend stützen die Modellathleten sich auf ihre Stöcke und biegen ihre Körper mit leisem Grunzen. Meine Sportkameradin ist fast schlank und hat schwarz gefärbte Haare, was man am graublonden Scheitelstreifen erkennt.
Sie sieht aus wie »Pepe«, das verliebte Zeichentrick-Stinktier, das sich für unwiderstehlich hält und mit französischem Akzent »Isch lieebe disch« schmachtet. Ich weiß nicht, wie sie heißt und wer sie ist, aber ihre Anmut fasziniert mich, besonders wenn sie ihre Zigarette so zwischen den gefährlich kirschroten Lippen hält.
Viel Strecke hat »Pepe« noch nicht gemacht. Es ist auch nicht die erste Zigarette bei diesem Training, wie die beiden Lippenstiftkippen auf dem Waldboden verraten. Ihre Spezial-Handschuhe umfassen kraftvoll die beiden Spezialstöcke. Sie drückt die Schultern Richtung Spezialschuhe und schiebt den spezialhosenbespannten
Steiß zur Sonne – alles ohne Qualm dabei in die Augen zu bekommen. »Und jetzt stretchen wir noch mal die andere Seite«, ruft der Instructor, der früher mal »Wandervogel-Toni« hieß. Stretchen ist perfekt für Walker. Eben auch ein Illusionssport. Klingt professionell, sieht einigermaßen wichtig aus, ist aber garantiert so frei von Anstrengung wie Stöckchenziehen. Im besten Fall hat man sogar eine Hand frei fürs Pilsken oder die Zigarette. Stretchen ist auch prima zum Zeitschinden: zehn Minuten Laufklamotten anziehen, je 15 Minuten An- und Abfahrt, 20 Minuten duschen und restaurieren, dann noch jeweils 15 Minuten vor und nach dem Lauf stretchen, und schon hat man mit einer halben Stunde Schlafftrab gefühlte zwei Stunden Sport getrieben.
Der Trick scheint sich herumzusprechen. Sonntags am Fischerhüttenweg kommt man keine vier Schritte weit, ohne über einen Hardcore-Stretcher zu stolpern. Am Treppengeländer, unten auf der Brücke, an jeder Bank hat ein Mensch ein Bein aufgelegt, biegt den Oberkörper darüber und befummelt mit angestrengtem Blick seinen Oberschenkel. Auweia, eine Muskelverhärtung! Aber wovon?
Manchmal steht auf der Wiese ein besonders engagierter Dehner wie ein Storch auf einem Bein und reckt die Arme in die Höhe. Seht her, Vati kann Power-Stretchen. Am besten sind allerdings die Kanonen, die wie tot an ihrem Auto lehnen, schwer pumpend, den Kopf tief zwischen die Arme gezogen. Preisfrage: Ein Kreislaufkollaps infolge Überlastung, ein feststoffbegleitetes Bäuerchen oder einfach nur Stretch-Alarm?
Dehnen muss sein, sagt die Fachwelt. Die Theorie behauptet, dass der gemeine Muskel sich nach getaner Arbeit zusammenzieht. Tut er das zu oft, verkürzt er sich dauerhaft. Stretchen nach dem Lauf wirkt dagegen. Und vorher ist es auch wichtig, dann muss man nicht so lange laufen.
Dehnen ist wie eheliche Treue. Ein ehernes Gesetz. Aber keiner weiß,
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