Achilles Verse
ist, desto frenetischer wird gewunken. Oder andersherum: Wer in einem dicht belaufenen Stadtpark einmal das Grüßen anfängt, der hört nie wieder auf. Grüßen ist ein Anfängerbedürfnis, um sich der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zu versichern. Mit der Zeit entwickeln sich ökonomische Grußtechniken wie etwa sparsames Nicken oder ein zartes Wedeln mit der Hand. Größter Fehler: Bekannte zu grüßen, die gerade auf der Bahn den letzten von acht Tempoläufen über 1000 Meter absolvieren.
Nassrasierer und Männerbeine schließen sich aus. Das stand fest. Bis die Kollegen Erik Zabel und Rolf Aldag im Kino bei der Beinrasur zu sehen waren. Ab sofort wird heimlich am Schenkel geschabt.
Der beste Sportfilm aller Zeit heißt »Höllentour« und ist von Pepe Danquart. Der hat Rolf Aldag und Erik Zabel eine Tour de France lang begleitet, bis aufs Zimmer, bis unter die Dusche. Da steht der lange Aldag nackig in einem dieser Dixi-Klos von Billighotelbadezimmern und bearbeitet seine Storchenbeine mit einem Einwegrasierer. Auf dem Oberschenkel eine messerscharfe Linie. Oben Käseschenkel, unten broilerbraun, eingebranntes Zeugnis zehntausender Trainingskilometer.
Beinrasieren sei lebenswichtig, erklärt Aldag. Denn wenn man sich auf die Nase lege bei Tempo 60 und auf dem Schenkel mit Schmackes über den Asphalt rutsche, wenn sich das Plastik der Rennhose erhitzt und in die Haut brennt zusammen mit dem Rollsplitt, dann verfange sich in rasierten Beinen weit weniger Dreck als bei Fellträgern. Jau, sagt Zabel, obwohl man auch die Wunde im rasierten Bein noch mal mit der Wurzelbürste unter der Brause aufschrubben müsse, um sie sauber zu machen, damit eine möglichst nahtfreie Narbe zurückbleibt.
Ich weiß nicht, ob ich den Jungs diese Rasierrechtfertigung glauben
soll. In Wirklichkeit wollen sie doch nur ihr bemuskeltes Betriebskapital vorzeigen. Dieses Bedürfnis haben leider auch ganz normale Zeitgenossen. Und die laufen fast alle immer vor meiner Nase lang. Es ist kein Spaß, dauernd auf Mitläufer schauen zu müssen, an deren Körper konturenlose Würste baumeln, die nur mit Mühe als Beine zu erkennen sind. Unter einem Geflecht von lila Besenreisern, die die nikotingelbe Hühnerhaut notdürftig überdecken, spannen sich kapitale Krampfadern. Aber rasiert bis unter die Achseln. Herr, schmeiß Leggings vom Himmel. Früher, in der Phase des Prä-Exhibitionismus, trugen solche Menschen diskreterweise fleischfarbene Stützstrumpfhosen, blickdicht. Heute wird das Elend auch noch rasiert.
Ein Gesetz muss her, dass das Zurschaustellen von rasierten Beinen erst ab einer bestimmten Muskelstruktur und einem Mindesttempo von, sagen wir, 12 Kilometer pro Stunde bei Läufern und 32 Kilometer pro Stunde bei Radfahrern erlaubt. Man könnte die Waden von Dr. Marquardt und mir als Referenzbeine nehmen. Alles was nicht dazwischen liegt, fliegt gleich mal raus.
Schlimmer als missratene Damenbeine sind eigentlich nur künstlich glänzende Laufwerkzeuge von Männern. So wie bei Klaus Heinrich. Beinrasieren ist eine geile Sache, sagt er. Der Kerl ist schlimmer als Michelle Hunziker. Einmal die Woche zieht er sich den Ladyshaver seiner Herzdame über die Schenkel, schabt und cremt und solarisiert und kann die Stelzen gar nicht früh genug im Jahr an die Sonne halten, der eitle Heini. Ich hatte gehofft, dass Mona meiner Meinung sein und das Rasieren von Männerbeinen für eine Obsession von Transvestiten halten würde, oder von Siegfried und Roy oder Udo Walz. Doch meine Gattin sagte nur: »Wer’s tragen kann …« Natürlich meinte sie mich damit.
Neulich unter der Dusche habe ich auf der Rückseite der linken Wade mal ein bisschen gekratzt. Der dämliche Rasierer war sofort mit Hautfetzen verstopft. Die Blutung hörte zum Glück ziemlich schnell auf. Die Schneise sah dämlich aus. Aber sie fühlte sich babyzart an, gleichwohl stählern sportlich. Ich schabte
weiter, nicht ohne den sportlichen Ehrgeiz, dieses verdammte Bein nackt sehen zu wollen. Leider hörte ich nicht, dass Mona ins Bad kam. Sie wollte sich gar nicht wieder einkriegen vor Lachen. »Willst du zu den Revuegirls im Friedrichstadt-Palast?«, fragte sie. Deine Stachelstelzen könnten auch mal wieder einen Flammenwerfer vertragen, dachte ich für mich. Aber ein wirklich gutes Argument fiel mir nicht ein. Wiehernd zog Mona davon.
Die Kunst besteht darin, ein wirklich überzeugendes Argument für etwas völlig Unsinniges zu finden. »Also, ich rauche, weil mein Arzt
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