Achilles Verse
die Rentner abzieht? Und die Frauen. Ist auch egal. »I spui mei Spui«, hat der Sportphilosoph Ludwig Kögl gesagt. Es gelten nur deine Regeln. Und die Bahn-Ordnung. Tartanbahn ist wie Autobahn: innen freigeben, außen Auslaufen.
Ich trabe wieder an. Vor mir drei Postsportfrauen. »Diese Woche über 100 Kilometer«, höre ich die eine im Vorüberlaufen japsen. Ich bin froh, wenn ich auf ein Drittel komme. Dafür mache ich Tempo. Ich bin an der Linie angelangt. Keine Ausrede. Nur noch viermal. »Heil’ge Ordnung, segensreiche«, weiß Schiller.
Diesmal tun schon die ersten Meter weh. Beton im Schuh. Krampf im Bein. Hitzschlag. Ich schleiche. Noch 392 Meter. Puls pocht im Ohr. Hoch die Hufe, Achilles! Noch 385. Aufhören mit Denken. Eins mit dem Universum. Schmerz? Was ist das? Wischmob vor mir. Schleppt sich. Letzte Reserve. Gleiche Höhe. Brust raus. Fotofinish. Auslaufen. 89 Sekunden. Auch gut.
Eine knappe Stunde später öffnet Mona die Tür. Stutzt. Erschrickt. »Warum siehst du so käsig aus? Alles in Ordnung, mein Achim?« Ich japse Entwarnung. Sie nimmt mich in den Arm, nass und fertig. Sagt einfach nur: »Mein Achim.« Tempotraining ist geil.
Tempo machen
Es gibt Bereiche beim Laufen, die sind feuerrot. Wie ein Auto, das überdreht: Die Lunge zerrissen, der Schädel geplatzt, der Körper nichts als Feuer. Es soll Athleten geben, die diesen Bereich scheuen, die immer bremsen, wenn es anfängt so richtig wehzutun. Es klingt masochistisch, ist aber wahr: Ein Finish bis zur Bewusstlosigkeit macht Spaß, sobald man wieder zu sich gekommen ist. Alle paar Wochen sollte man sich einen Moment im roten Bereich ruhig gönnen. Die Komfortzone ist für richtige Läufer strikt verboten. Wir laufen ja nicht zum Vergnügen, oder?
Die meisten freuen sich auf den Urlaub. Achim Achilles nicht. Um sein Trainingsprogramm richtig durchziehen zu können, braucht unser Turboläufer die passende Umgebung. Doch die Familie will partout nicht dorthin, wo es für ihn in punkto Fitness am besten ist.
Mona will diesen Sommer wieder nach Italien. Sie will immer nach Italien, das vollste aller Urlaubsländer. Teuer ist es auch. Und die Pizza ist bei Marco am Viktoria-Luise-Platz allemal besser. Außerdem ist Italien kein Urlaubsland für Ausdauersportler, es sei denn, sie wollen Epo kaufen. Entweder ist es zu heiß fürs Laufen oder zu steil zum Radfahren. Schwimmen in der Adria ist unmöglich, man stirbt sofort an Algenpest. Auf den Hauptstraßen wird man noch vor der ersten Kurve totgefahren. Auf den Nebenstrecken lauern Hunde, die nie angekettet sind. Und auf allen anderen Straßen grinsen die Italiener dieses mitleidige Jajadie-bekloppten-Deutschen-Grinsen. Nie sieht man Jogger in Italien. Und die Rennradfahrer stehen immer nur in Horden vor Cafés, klönen und zeigen sich ihre bunten Hemden.
Sowieso steckt mir noch das Trauma vom letzten Jahr in den Mitochondrien. Da hatten wir Elsa und Sergio kennen gelernt. Elsa konnte ein bisschen deutsch, suchte das Nonstop-Gespräch und fand – Mona. Sergio war Chefbademeister am Strand. Ich
hatte ihm in Speisekarten-Italienisch von meinen Laufambitionen erzählt. Sergio wirkte beeindruckt. Er war von klassisch italienischem Format, also etwa so groß wie eine Parkuhr, dafür breit wie ein Bardolino-Fass. Sein Wachturm ächzte, wenn er ihn erklomm. Eines Abends, wir wollten eigentlich die Fischplatte »Capri« kaltmachen, kam er von seinem Turm geklettert und sagte: »Wolle laufe?« Ich stutzte. Hatte ich richtig verstanden? »Keine Schuhe«, sagte ich und deutete auf meine eleganten geflochtenen Slipper vom Schuh-Discount nebenan. »Egale, am Strande«, sagte er. »Gern«, sagte ich völkerverbindend.
Wir winkten Elsa und Mona und dackelten gemächlich los. Sergio keuchte nach wenigen Metern, aber er blieb eisern. Nach einem halben Kilometer drehte er sich um. Von unseren bezaubernden Gattinnen war nichts mehr zu sehen. Sergio schwenkte hart nach links, in ein Strandcafé. Vier Bier und sechs Averna später machten wir uns auf den Heimweg. Sergio, der Fuchs, hatte Pfefferminz dabei.
Albernd trabten wir zu unseren Frauen zurück. Es fiel uns leicht, vor Erschöpfung leicht zu schwanken. Vom Trinken hatte ich einen Bärenhunger bekommen. Und noch mehr Durst. So übten wir fast jeden Abend. Das Ergebnis des italienischen Geheimtrainings waren vier Kilogramm mehr auf der Waage und eine ruinierte Form. Italien? Völlig indiskutabel dieses Jahr.
Mona würde sich alternativ noch auf eine
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