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Achilles Verse

Achilles Verse

Titel: Achilles Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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Leben kapierte Roland, dass er einfach nur die Schnauze halten sollte.
    Seitdem liege ich im Bett. Wo früher Beine waren, herrscht Ziehen und Brennen und Wringen. Beinpein und Blase stehen in stetem Kampf. Erst wenn der Wasserdruck die Stärke 17 auf der Niagara-Skala erreicht hatte, schleppe ich mich Richtung Keramik. Sitzen geht nicht. Die Schilderung weiterer Details würde die Menschenwürde verletzen.
    Marathon macht stur und blöd und krank, an Bein und Birne. Monatelang hatte ich nur diesem Sonntagmorgen entgegengelebt.
Am Morgen hatte ich es sogar mit »Mikroklist«, der Wunderwaffe gegen überfüllte Eingeweide, versucht. Kein Busch war fortan klein genug, als dass ich mich auf dem Weg zum Start nicht hineingeschlagen hätte. Es half nichts. Das Adrenalin krempelte meinen Magen um.
    Ich fühlte mich wie eine Backpflaume, als ich über die Absperrung in den Startblock HLV C kletterte. Um mich herum roch es nach Hering. Ich war in den Betriebsausflug eines dänischen Altersheims geraten. »Hej«, sagten alle mit provozierendem Grinsen und hüpften wie die tanzenden Bohnen in der Muppet-Show. Wahrscheinlich kommen Dänen zum Laufen nach Hamburg, weil ihr Zwergstaat zu kurz ist für einen Marathon. »Wir wollen 4:15 Stunden laufen«, verkündete ein drahtiger Mittsiebziger. »Wenn du’s noch erlebst, Opa«, dachte ich und nickte völkerverständigend. Der Startschuss war schon vor Ewigkeiten ertönt, aber die Scheintoten aus Block HLV C durften erst 15 Minuten später auf die Strecke.
    Endlich kamen die Heringe auf Trab. Wildes Piepen der Zeitnahmematte. Kein Zurück mehr. Eine Weile blieb ich bei den Dänen. Sechs Minuten den Kilometer, das erschien meiner Form angemessen. Am Anfang zu schnell, vorm Ende tot, lautete die Regel. Aber der Däne erwies sich bald als ultrapatriotische Nervensäge. Wo immer sie etwas Rotweißes entdeckten, blieben sie stehen, rissen die Arme in die Höhe und brüllten etwas, das klang wie »Pölser-Olé«: vor Stoppschildern, Vodafone-Reklamen, Rotkreuzwagen und Pommesschalen.
    Mit dem stillen Selbstbewusstsein, das den Vertreter der papststellenden Nation ziert, zog ich bei Kilometer 16 davon, auf dem Jungfernstieg, vor begeistertem Publikum. Auf der langen Geraden zum Flughafen hatte ich den 4-Stunden-Tempoläufer entdeckt, einen guten Kilometer vor mir. Da musste ich ran.
    Bis Kilometer 32 lief alles ordentlich, auch wenn ich zu langsam war. Die Dänen hatten mich eingelullt. Plötzlich merkte ich, wie ich immer häufiger auf die Uhr blickte, einfach so, als ob da Rettung
sei zwischen den digitalen Zahlen. Aber die Ziffern sagten mir nichts. Im Kopf war kein Blut mehr. Alles leer, dumpf, Kartoffel.
    Dann plötzlich der Filmriss. Ich kann mich an nichts erinnern außer an ein »Aua« bei jedem Schritt. Beine wie T-Träger, laufende Dampframme. Butter im Knie. Meine auf sexy geschnittene Hochleistungshose hatte mir eine Fleischwunde in beide Oberschenkel geraspelt. Was mal eine Zunge war, fühlte sich plötzlich so pelzig an wie ein Pudelbein. Jeder Fuß zur Calzone aufgequollen. Hoffentlich lief kein Blut aus dem Schuh. Dänen würden kommen und La Ola machen.
    Irgendwann muss ich ins Ziel getaumelt sein, nach ungefähr 4:20 Stunden, immerhin unter den ersten 10 000. Ein Sanitäter kam auf mich zugestürzt und fragte, ob alles okay sei. Nein, zum Teufel, überhaupt nichts ist okay. Ich bin so gut wie tot. Mona stand hinterm Zielzaun und sah mich besorgt an: Dieses Wrack war einmal ihr knuddelweicher Mann gewesen. Irgendwer hängte mir eine Medaille um. Veräppeln kann ich mich selbst. Ich war zu schwach, ihn mit dem Bändsel zu erwürgen.
    Ich verfluchte den Marathon und jeden einzelnen dieser gut 18 000 Spinner. Das hatte mit Wohlbefinden nichts zu tun. Marathonläufer sind Selbstdarsteller, Autoerotiker, die sich daran aufgeilen, von Hamburger Hausfrauen bejubelt und in ihrer Firma am nächsten Tag bewundert zu werden. Marathon ist die bekloppteste Form der Onanie, viel zu lang und viel zu schmerzhaft. Mona hievte mich auf die Rückbank, wo ich bis Berlin durchröchelte. Seit diesem Tag hat Karl jedweden Respekt vor seinem Vater verloren. Das war mein erster und mein letzter Marathon, garantiert.
    Auch wenn mein kleines Marzipan-Mönchen als Krankenschwester eine Wucht ist, werde ich morgen versuchen, wieder am normalen Leben teilzunehmen. Ich werde eine Aufständischen-Gruppe gründen, die Marathon-Ade-Fraktion (MAF). Die notfalls mit Waffengewalt durchzusetzenden

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