Acht cropped
fragte: »Was ist los? Irgendetwas mit Cordula?"
»Sie ist tot! ", sagte Marc leise und begann verzweifelt zu weinen.
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Acht Jahre sind eine lange Zeit, aber nichts im Vergleich zu fünfzehn Jahren. So lange waren Cordula und er befreundet gewesen. Unglaublich, aber Marc hatte in seinem Leben neben seiner Familie die meiste Zeit mit Cordula verbracht. Ihre Freundschaft hatte sehr unterschiedliche Facetten gehabt.
Marc dachte zurück. An lange Gespräche im Teenageralter, als er ihr das Herz ausschüttete über den Ärger mit Mitschülern und seinen Eltern, während sie ihm berichtete vom täglichen Terror mit ihrem Bruder Manuel und Marc begeisterte für Musik von Roxette und Bon Jovi. Stundenlang waren sie durch die Wälder gelaufen und hatten - wie sie es nannten - Charakterstudien über ihre Klassenkameraden und Lehrer betrieben. Marc war sich sicher, dass er von ihr das Diskutieren und Hinterfragen von anderen Meinungen gelernt hatte, weil er in seiner Familie nie nach seiner Sicht der Dinge gefragt wurde. Alles war gut, solange er brav gehorchte und nicht aus der Rolle fiel.
Leider war auch Cordula immer wieder extrem dominant aufgetreten. Sie hatte ihn herumkommandiert und versucht, sein Leben nach ihrem eigenen auszurichten.
Als Jugendlicher war Marc dankbar dafür gewesen, die Freizeit mit seiner besten Busenfreundin nach ihren Vorschlägen zu gestalten. Die selbstsichere, attraktive Cordula öffnete ihm die Türen zu In-Cliquen und Veranstaltungen, zu denen er sich alleine nicht getraut hätte. Erst als Marc während seines Studiums sein Leben nach und nach in die eigene Hand nahm, entfremdeten sie sich zunehmend. Er verspürte noch nicht einmal ein Gefühl des Bedauerns, seine ehemals engste Vertraute nur noch unregelmäßig zu treffen. Er hatte neue Freunde an der Universität gefunden, dazu eine schwule Clique, und er sah nicht mehr den Bedarf, am Wochenende nach Hause zu fahren. Natürlich blieb ihm nicht verborgen, dass Cordula seine Nähe vermisste und auf ihre Art und Weise um ihn kämpfte. Sie blieb sozusagen ständig „am Ball« und brachte sich in seine Freundes-und Bekanntenkreise ein, sodass Marc gar keine Chance hatte, sich ihr zu entziehen, auch wenn ihre Präsenz teilweise aufdringlich wirkte.
Die Tatsache, dass seine Freundin ihn zum Schluss sogar mehr oder weniger erpresst hatte, hatte ihn zunächst dermaßen verärgert, dass er bereit gewesen wäre, den Kontakt zu ihr ganz abzubrechen. Doch auch in der Situation hatte sie es geschafft, wie eine Klette an ihm kleben zu bleiben, ohne sich abschütteln zu lassen.
Jetzt, da er neben Daniel den kleinen Fußweg vom Parkplatz zur Kirche entlangging, stand für Marc jedoch nur noch eine Sache im Vordergrund: die Trauer um Cordula. Und das Bedauern über versöhnende Worte, die nicht mehr ausgesprochen werden konnten; Einsichten, die er in den letzten Tagen gewonnen hatte; Erklärungen, die Cordula vielleicht beruhigt hätten. Schließlich hatte sie nur das Beste für ihn gewollt, und sie hatte sogar den Mut gehabt, zu so drakonischen Maßnahmen zu greifen, dass sie sogar ihre Freundschaft aufs Spiel setzte, nur um ihm die Augen zu öffnen. Er sah ein, dass er der Schuldige gewesen war. Er hatte sich ihr entzogen. Er hatte ein Gefühl der Gleichgültigkeit ihr gegenüber entwickelt. Er wollte sich von ihr und ihrer Freundschaft emanzipieren.
Er betrat die Kirche wie in Trance. Neben seiner Traurigkeit war da nur noch das Gefühl, er müsste die Beerdigung irgendwie durchstehen, schließlich hatte er Angelika Kellermann versprochen, die Fürbitten in der Kirche vorzutragen. Entsprechend blind war er für bekannte Gesichter von Freunden, Bekannten und sogar einigen Arbeitskollegen von der Feuer-und Rettungswache, die zur Beerdigung gekommen waren.
Die Kirche platzte aus allen Nähten. Neben der Schar von Angehörigen und Verwandten hatte sich offensichtlich eine Menge Schaulustiger eingefunden, für die die Sensation, dass eine junge Frau nach einem Unfall plötzlich aus ihrem Leben gerissen worden war, Neugierde und den Wunsch nach emotionalen Ausbrüchen erzeugt hatte.
Ohne nach links und rechts zu schauen, ging er zielsicher auf die erste Bank zu und nahm mit Daniel neben Frau Kellermann und Cordulas Bruder Manuel Platz.
Ein Augenpaar in der allerletzten Reihe hatte das Männerpaar besonders intensiv gemustert. Andreas wirkte fast schon zufrieden, als er das Gesangbuch nahm, um gemeinsam mit dem Rest der Trauergemeinde das erste
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