Achtung BABY!
bringst du dem Opa bitte die Hausschuhe.«
Lilly bringt auf diese Bitte tatsächlich Opa die Hausschuhe. Wie er das geschafft hat, weiß ich bis heute nicht. Natürlich habe ich Angst, dass das die erste Stufe von Kinderarbeit ist, also bitte nicht weitererzählen. Es ist auch nicht gerade eine Förderung der Emanzipation der Frau.
»Lilly, kommst du bitte her!«
Lilly bleibt da, wo sie ist, und tut so, als ob sie nichts versteht. Eigentlich ganz clever.
So fängt es an, dass man Kleinkindern die Welt beibringt. Die nächste Stufe sind dann mehr so didaktische Fragen: »Wo ist Lillys Nase? Ohr? Auge? Bauchnabel? Finger? Zahn?« Und so weiter, bis man alle Körperteile durch hat. Und irgendwann kommt mein kleines Mädchen in das Alter, wo ich sie über diverse Teile aus dieser Liste aufklären muss. Halt, bloß nicht dran denken. Belassen wir es noch einige Zeit bei: »Wie groß ist die Lilly?«
Im ersten Lebensjahr gibt es verschiedene Entwicklungsstufen, welche alle vorher genannten Aktionen in Zeiträume zusammenfassen. Ich saß mal beim Kinderarzt und blickte fasziniert auf eine große Tabelle an der Wand, mit den vier entscheidenden Phasen:
– Stadium der primitiven Reflexe
– Abklingen der primitiven Reflexe
– Differenzierungsphase der Grobmotorik
– Vertikalisierungsphase und beginnende Feinmotorik
Ich saß da und dachte mir, das ist doch ein ganz normaler gängiger Ablauf, dem wir Menschen da unterliegen. Es beschreibt in klaren Worten den Abend eines Mannes, der in die Disco geht, sich da eine Frau aufreißt und später mit ihr nach Hause geht:
– Stadium der primitiven Reflexe
– Abklingen der primitiven Reflexe
– Differenzierungsphase der Grobmotorik
– Vertikalisierungsphase und beginnende Feinmotorik
So ist doch alles vorgegeben im Leben eines Menschen.
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Revenge of the Spielplatz
Als Lilly 15 Monate alt war, ging ich zum ersten Mal alleine mit ihr auf den hiesigen Spielplatz, um mich erneut dem Urteil der Götter zu stellen. Ich hatte lange gewartet, aber nun war er da, der historische Moment: »Papa der Ringe III – Die Rückkehr des Königs«. Mit dem Selbstbewusstsein Aragorns vor der Enthauptung einer Hundertschaft Orks ausgestattet, war ich mir sicher: »Jetzt werden sie mich in ihren Kreis aufnehmen.« Einen zweiten Teil von »Unter Geiern« gibt es nicht. Ich stand breitbeinig an der Rutsche, dramatische Musik setzte ein, und … zwei Mütter nickten mir anerkennend zu. Eine sprach sogar zu mir: »Sie sind ja ein netter Papa, gehen alleine mit Ihrer Tochter auf den Spielplatz.« Glocken läuteten und Jubelchöre besangen das Ende der Odyssee. Ich hatte es geschafft! Die Krise im Nahen Spielgebiet war Geschichte. Der Kreis hatte sich geschlossen.
Oder war das ein Einzelerfolg? Ich beschloss, den ultimativen Test zu machen und den härtesten Spielplatz der Republik zu besuchen: Im August 2009 betrat ich den Ort im Prenzlauer Berg, an dem ich damals mit meinem Patenkind nicht so ganz ernst genommen worden war. Dieses Mal erschien ich mit Lilly … Paul war nicht mehr da, wahrscheinlich hatte er gerade mit einer Hausbesetzung zu tun. Auch hier bewegte ich mich ohne aufzufallen in einer Herde Mütter. Der Outsider ist tot – es lebe der Papa! Es war ein Déjà-vu-Erlebnis, trotzdem. Die Angst vor all diesen kindertödlichen Klettergerüsten stieg in mir hoch. Lilly mit ihren 19 Monaten wollte auch schon überall hoch, konnte sich aber nochnicht gut festhalten. Rutschen in jeder Größe, Höhe und Länge sind ihre große Leidenschaft. Anderen Kindern gegenüber ist sie immer etwas zurückhaltend. Sie stellt sich oft zu einer Gruppe spielender Kinder und guckt eine halbe Stunde zu, bevor sie selbst ins Geschehen mit eingreift. Ein Junge mit etwa zwei Jahren hatte sein Bobby-Car und diverse Spielsachen dabei. Nach ihrem üblichen Zeitpuffer wollte Lilly auch mal damit spielen. Der andere Junge riss ihr jedoch sofort alles aus den Händen und schrie sie an: »Meins, meins, meins!«
Seine Argumentation war nicht ausgefeilt, aber verständlich. Und dann kam die große Stunde meiner Tochter. Ich griff nicht ins Geschehen ein, weil ich sehen wollte, wie Lilly das Problem lösen würde. Sie schaute in Richtung Rutschen-Klettergerüst, was der Junge bemerkte. Lilly ging Richtung Rutsche, aber der Junge, der ihr anscheinend auch die Rutsche nicht vergönnte, stieß sie weg und kletterte die Rutsche hoch mit seiner üblichen Argumentation: »Ich rutschen! Ich erst!«
Lilly
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