Achtung BABY!
wahr. Und alles, was man über das Zahnen gehört hat, ist wahr. Diese Zeit ist das Gebissfegefeuer, durch das jeder Mensch gehen muss, wenn er irgendwann festere Nahrung zu sich nehmen will. Unsere Tochter hatte bis zum zehnten Monat nur diese süßen Zahnfleischleisten. Das sieht so putzig nach Baby aus. Ich mochte das sehr. Aber beim Kinderarzt wurde ich mal von einer sehr besserwisserischen Mutter angesprochen: »Wie, eure Tochter ist zehn Monate und hat noch keine Zähne?«
»Nein, wir haben in unserer Gemeinde eine sehr effektive Zahnfee, die das Prinzip nicht ganz verstanden hat und nicht wartet, bis sie ausfallen.«
»Was?«
»Soll ich Schuldgefühle haben, weil mein Kind später als andere Zähne bekommt? Ich hab noch von keinem Kindernahrungszusatz gehört, der Zähne wachsen lassen kann. Oder soll ich Uri Geller anrufen, der dann mit dem Zahnfleisch Kontakt herstellt?«
»Ich habe ja bloß gefragt.«
»Ich habe letzte Nacht auf dem Friedhof der Kuschelzähne zwei tote Zähne aus meiner Kindheit vergraben, und ich wartedrauf, dass sie wiederkommen, und ich habe einen guten Rat: Komm meiner Tochter nicht zu nahe: Die Zähne verändern sich danach.«
(Meine Szenarien werden leider nicht realistischer.)
Ab dem sechsten Monat war Lilly sehr entspannt. Sie war ein kleiner lustiger Clown mit unbändiger Lebensfreude. Wir konnten beim besten Willen keine arschlochkindschen Züge feststellen. Dann kam die Zahnphase, und die verändert die Persönlichkeit. Dr. Lilly und Mrs. Hyde kämpften um die Oberhand. Ich dachte an Filme wie »Der Exorzist«. Ein Zahndämon hatte von unserer Tochter Besitz ergriffen! Sie war wirklich nicht mehr sie selbst. Unsere Kinderärztin sagte: »Eure Tochter ist nicht besessen, so ergeht es allen Kindern beim Zahnen. Die Persönlichkeitsveränderung ist ganz natürlich.«
Meine Frau sagte: »Michl, leg das Weihwasser weg!«
So akzeptierte ich die grausame Natur der Dentalevolution. Es muss wirklich höllisch wehtun, was die Kleinen da durchmachen. Alleine die Vorstellung, dass da im Kiefer steinharte Calcium-Brocken wachsen und sich dann als Zähne durch dein Zahnfleisch nach oben schieben, uaaaah. Man kennt das ja auch aus Werwolffilmen. Wie die vorher Gebissenen sich quälen, wenn sie sich verwandeln und sich die Reißzähne durch den Kiefer schieben. Aber die Werwolfinfizierten haben einen Vorteil: Es geht schneller. Meist ist die Kauleiste in Sekunden auf Beutefangmodus eingestellt. Aber Zahnen bei kleinen Kindern, das kann dauern. Zähne schieben oft über Tage und Wochen. In dieser Zeit brauchen die Kleinen das Mami-und-Papi-Vollprogramm. Es herrschte Schichtbetrieb im Hause Mittermeier. Der dunkle Schatten von Mordor legte sich auf unseren Schlaf. Man kann kleine Kinder beim Zahnen nicht mit echten Schmerzmitteln vollpumpen, um die Schmerzen erträglicher zu machen. Es gibt leider nur leichte Drogen. Ich erinnere mich noch an die erste böse Zahnnacht. Ich hatte einen Auftritt in Salzburg. Als ich nach dem Auftritt das Handy wieder einschaltete, hörteich die Hilferufe meiner Frau: »Michl, wenn du nach München reinfährst, dann such irgendwo eine Nachtapotheke und kauf Osanit.«
Osanit. Ein Wort wie ein Monolith. Es strahlt Ruhe und Sicherheit aus. »Marmor, Stein und Eisen bricht, aber Osanit nicht.« Her mit dem Wundermittel! Ich bin also nachts rein in eine Apotheke und forderte eine Kiste Osanit. Die Studentin aus der Twilight-Halbschlafwelt brachte mir ein Röhrchen. Wie, ein Röhrchen? Da geht Osanit rein? Es kommt als weiße Globuli-Kügelchen, die man beim Homöopathen im Zwölftausenderpack bekommt. Auch die Nachfrage, wo sie denn hier in diesem Laden das echte Osanit lagern würden, brachte mich nicht weiter. Das war ein Wundermittel in Mikroben-Größe. Ich erklärte der Studentin, die mittlerweile auf einem Auge ohne Schlafschleier wieder klar sehen konnte: »Die sind so klein. Ich brauche das nicht, um das Zahnen unserer Hausamöbe zu kurieren, sondern für einen kleinen Menschen.«
»Ihr Männer sagt doch immer, es kommt nicht auf die Größe an.«
Michl, lass dich jetzt nicht auf so eine Diskussion ein.
»Okay, aber geben Sie mir wenigstens zwei Röhrchen, unser Kater schaut in letzter Zeit auch immer so komisch beim Fressen.«
Osanit hilft, es hat uns ein bisschen besser durch die nächsten zwei Nächte gebracht, aber ich bin dann doch bei uns ums Eck noch mal in unsere Apotheke …
»Grüß Gott Herr Mittermeier, brauchen Sie etwas, um eine
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