Achtung Kurven
still verdrücken wollte, schlug Herr Schindler die müden Augen auf, zog sein Taschentuch, schneuzte sich, faltete es sorgfältig zusammen und verwahrte es wieder in der Manteltasche.
»Es war jämmerlich, Frau Zauner, was Sie da geboten haben«, brummte er, »aber unter der Bedingung, daß Sie sich drei Tage lang richtig ausschlafen, dürfen Sie sich den Führerschein Montag abholen.«
Heinz Herold hätte das Ekel am liebsten umarmt.
Frau Zauner schien nur die vernichtenden Anfangsworte mitbekommen zu haben, sie schlich mit gebrochenen Flügeln davon. Herr Blum murmelte Worte des Beileids.
»Sie haben die Prüfung bestanden!« rief Heinz Herold ihr nach.
Frau Zauner drehte sich halb um, aus einem kleinen, blassen Gesicht starrten ihn zwei riesige Augen an: »Was habe ich?«
»Bestanden!!!« brüllte er.
»Mein Gott«, seufzte sie auf und preßte die Hände gegen das Herz, »mir wird ganz schlecht...«
Herr Blum fing sie auf, und Heinz Herold stürzte aus dem Wagen. Gemeinsam schleppten die beiden Männer Frau Zauner ins Haus und betteten sie im Unterrichtsraum auf die lange Fensterbank. Zwei Damen von der Abteilung Rothe, denen die Prüfung noch bevorstand, bemühten sich um sie und betupften ihr die Schläfen mit Kölnisch Wasser. Heinz Herold konnte sie der Obhut der Damen überlassen.
»Sich so aufzuregen murmelte Herr Blum, aber ihm zitterten dabei die Hände.
»Nun machen Sie mir bloß nicht auch noch schlapp«, sagte Herold und öffnete Herrn Blum die Tür des Wagens.
»Warum mußten Sie die kleine Frau auch so anbrüllen?« brummte Herr Schindler und klopfte mit dem Zeigefinger auf das Glas seiner Armbanduhr. »Los, los, ich habe nicht so viel Zeit wie Sie.« Er raschelte mit den Papieren: »Herr Blum — muß man da auch besondere Rücksichten nehmen?«
»Keine besonderen Rücksichten, Herr Ingenieur«, grinste Herold, »vorausgesetzt, daß Sie ein sauberes Gewissen haben. Herr Blum ist nämlich in der Steuerfahndungsabteilung des Finanzamtes tätig.«
»Auch das noch!«
Eineinhalb Stunden später hatten von den sieben Kursteilnehmern der Fahrschule Bauersfeld sechs die Prüfung bestanden. Ein schöner Erfolg für die Fahrschule, da bei Ingenieur Schindler gewöhnlich fünfzig Prozent der Prüfungskandidaten durchfielen. Auch Herr Blum war unter den Glücklichen. Er schob Heinz Herold diskret einen Umschlag mit einem Zwanzigmarkschein in die Jackentasche und quetschte ihm dankbar die Hand. Heinz Herold hatte gegen Zwanzigmarkscheine nichts einzuwenden, noch lieber waren ihm Fünfziger, das Händeschütteln schätzte er weniger, denn zumeist fühlten sich die Hände nach der Prüfungsfahrt kalt und feucht an wie die Bäuche verendeter Frösche.
Er fuhr nach den Prüfungsfahrten zum Tanken und ließ auch den fälligen Ölwechsel vornehmen. Als er das Büro kurz nach zwölf betrat, konnte er Rothe zunächst nicht entdecken, denn ein riesiger Freßkorb , der mitten auf dem Schreibtisch stand, versperrte ihm die Sicht.
»Hallo«, rief er überrascht, »wo kommt der her?«
»Für Sie«, sagte Rothe und überreichte Herold den Umschlag, der zwischen zwei Sektflaschen steckte, »von Frau Jossa !«
Heinz Herold las das Kärtchen: Guten Appetit und guten Durst wünscht Ihnen Ihre dankbare Martha Jossa ...
»Nobel«, meinte Rothe, »wirklich nobel! Mir hat der Tag drei Zwanzigerstutzen und einen lumpigen Zehner eingebracht...«
»Bevor Sie vor Neid platzen, greifen Sie zu«, sagte Herold großzügig, »aus den scharfen Sachen mache ich mir ohnehin nicht viel.«
Der schnelle Griff, mit dem Rothe sich die dickbauchige Whiskyflasche aus dem Korb angelte, ließ darauf schließen, daß er mit ihr schon lange geliebäugelt hatte.
»Sagen Sie bloß, wie die Jossa es geschafft hat. Ich kann es immer noch nicht fassen...«
»Dann geht es Ihnen genauso wie Herrn Schindler. Und dabei hat er ihr wirklich nichts geschenkt.«
»Also ein Wunder...«
»Ein Cognacwunder«, grinste Herold. »Die Dame hat vor der Prüfung ein Taschenfläschchen gezwitschert.«
»Ist das ein Witz?«
»Nein, es ist die reine Wahrheit. Das Wunder ist, daß der Ingenieur nichts gemerkt hat. — Übrigens hat er sich Frau Zauner gegenüber hochanständig betragen. Was sie zeigte, war wirklich jammervoll.«
»Haben Sie mit ihm vorher über den Fall Zauner gesprochen?«
»Ja, aber mit dem Erfolg, daß er drauf und dran war, mich hochkantig ‘rauszuschmeißen.«
»Also auch ein Mensch...«
»Ja«, nickte Herold, »nur er zeigt es
Weitere Kostenlose Bücher