Achtung Kurven
selten.«
Die Uhr von der Michaelskirche schlug neun, als Heinz Herold seinen Präsentkorb heimschleppte . Er war todmüde. Mit Ausnahme der Stunde für das Abendessen hatte er seit ein Uhr sieben Fahrstunden und eine Stunde Unterricht gegeben. Besonders das Stehen strengte ihn an, er hatte durch den Beruf Fahrbeine bekommen. Der einzige Ausgleichssport, den er trieb, nach Dienstschluß eine Stunde lang im Volksbad zu schwimmen, fiel jetzt wegen Zeitmangel aus.
Daheim fand er ein halbes Dutzend Offertbriefe auf dem Tisch. Die Rechnung des »Generalanzeigers« über 6,80 Mark lag dabei. Er hatte die Anzeige völlig vergessen und wusch sich von Kopf bis Fuß, ehe er sich, in seinen blauen Bademantel gehüllt, an die Lektüre der Briefe machte. Eine der Offerten stammte von Frau Bauersfeld. Er wurde darin gebeten, sich »baldmöglichst im Büro der Fahrschule vorzustellen, da wegen Erkrankung des Inhabers ein Fahrlehrer mit guten Umgangsformen ein übertariflich bezahltes Betätigungsfeld fände«. Die anderen Offerten kamen von Konkurrenzunternehmen. Wenn die 6,80 Mark, die er für seine Anzeige zu zahlen hatte, im Augenblick auch zum Fenster hinausgeworfen waren, so hatte er sich für wenig Geld zumindest das beruhigende Gefühl verschafft, daß auf dem Stellenmarkt eine lebhafte Nachfrage bestand und daß er sich um die Zukunft keine Sorgen zu machen brauchte.
Erfrischt und aufgemuntert zog er sich an, um drüben in der Bodega den Tag mit einem Eisbecher zu beschließen. Er war gerade dabei, den Krawattenknoten zu schlingen, als es klopfte. Die Uhr ging auf halb zehn. Niemand außer Frau Bauersfeld und Emil Rothe kannte seine Privatadresse. Rothe, seit Tagen in einer Pechsträhne, hatte die Skatrunde zusammengetrommelt, um endlich Revanche zu nehmen. Also konnte er nur Frau Bauersfeld sein. Er sah sich mit einem Blick um, als suche er einen Fluchtweg, aber da war nur das Fenster, durch das er sich hätte in Sicherheit bringen können.
»Einen Moment, bitte!« rief er und zog den Knoten fest, ehe er zur Tür ging, um zu öffnen.
»Sie...?« stammelte er überrascht, aber sehr erleichtert, daß es sich bei der späten Besucherin nicht um die Chefin handelte. »Woher haben Sie meine Adresse?«
»Ich habe mich beim Einwohnermeldeamt erkundigt«, antwortete Fräulein Schütz. Sie trat nicht ein, sondern blieb vor der Schwelle stehen. »Ich war übrigens schon vor einer guten Stunde hier, aber dann sah ich, daß Sie Unterricht gaben, und habe drüben in der Bodega gewartet, bis Sie herauskamen. Hinter dem Präsentkorb hätte ich Sie beinahe nicht erkannt.« Sie warf einen Blick auf den reichbestückten Korb, den er vor dem Tisch am Boden abgesetzt hatte. »Kriegen Sie so was öfters?«
»Leider recht selten«, sagte er, »aber ich nehme nicht an, daß Sie gekommen sind, um sich nach der Stifterin des Freßkorbes zu erkundigen...«
»Nein«, sagte sie kleinlaut, »ich bin gekommen, weil ich Ihnen eine Erklärung schulde.«
»Sie dürfen sich die Erklärung sparen, Fräulein Schütz. Auf Ihren Schwindel bin ich nur eine Stunde lang hereingefallen. Aber bitte, treten Sie doch ein.«
»Sie haben neulich mit meiner Mutter am Telefon gesprochen, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete er mit einer kleinen Verbeugung, »mir fiel nämlich Ihr Zögern auf, als ich Sie fragte, ob Sie telefonisch erreichbar wären.«
»Und ich habe es im gleichen Augenblick geahnt, daß Sie anrufen würden. — Ich wäre schon früher zu Ihnen gekommen, wenn meine Mutter nicht seit Dienstag verreist wäre. Und brieflich — da drückt man sich meistens falsch aus.«
»Ihre Fahrschule scheint nicht allzu gut zu gehen...«
»Mit >nicht allzu gut< wäre ich schon zufrieden. Sie geht überhaupt nicht.«
»Das verstehe ich nicht. Haben Sie zu viel Konkurrenz?«
»Überhaupt keine.«
»Dann verstehe ich es erst recht nicht.«
»In Kirst hat man etwas gegen berufstätige Frauen, besonders in Männerberufen.«
»Dazu ließe sich eine Menge sagen«, meinte er lachend, »aber für ein Türgespräch ist das ein zu weites Feld. Kommen Sie ruhig herein, ich beiße nicht.«
»Ich würde mich auch nicht beißen lassen.«
Die Haustür ging. Heinz Herold griff nach der Hand von Marianne Schütz und zog sie ins Zimmer: »Ich muß auf meinen guten Ruf bedacht sein, Fräulein Schütz, und außerdem zahle ich für die Bude nur siebzig Mark. Wenn Frau Oberpostrat Schnetzer mich ‘rausschmeißt, finde ich so etwas Preiswertes nie wieder.«
Er entlockte ihr
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