Achtung Kurven
Schindler ab.
»Würden Sie es mir heute überlassen, den hohen Herrn herzukutschieren?«
»Nichts ist mir lieber. Ich kann den Kerl nicht riechen.«
Bevor Heinz Herold sich auf den Weg machte, zog er die vor Nervosität zitternde Frau Zauner zur Seite: »Ruhig Blut, Frau Zauner«, sagte er in ganz tiefen Brummtönen, »und nun passen Sie gut auf: Wenn der Ingenieur Sie in eine Falle locken will, dann hole ich meine Sonnenbrille aus dem Handschuhkasten. Haben Sie mich verstanden? Aber ich kann das nur einmal machen.«
Frau Zauner nickte dankbar und versuchte, ein tapferes Gesicht zu zeigen, aber sie sah wie eine kleine angstvolle Maus aus. Frau Jossa lutschte Pfefferminzbonbons und studierte noch einmal das Büchlein »Wer hat Vorfahrt?«, das jeder Kursteilnehmer bei der Anmeldung gratis erhielt. Herr Blum vom Finanzamt wanderte nervös von einem Fenster zum anderen, trommelte mit den Fingerspitzen »Preußens Gloria« gegen die Scheiben und erzählte jedem, der es hören wollte, daß er bei den Geburten seiner Kinder — und es waren ausnahmslos schwere Geburten gewesen! — bei weitem nicht so aufgeregt gewesen sei.
Um halb neun überzog Heinz Herold die Fahrschulschilder mit Hüllen aus gelbem Segeltuch. Zehn Minuten später hielt er mit dem neutralisierten Wagen vor dem Büro von Ingenieur Schindler. Er klopfte an der Tür und hörte ein schlechtgelauntes Herein. Der Ingenieur saß an seinem Schreibtisch, aber er trug schon seine Prüfungsmontur, einen verwaschenen, ehemals sandfarbenen Trenchcoat, und die braune Baskenmütze, von der es hieß, daß er sie auch beim Schlafen nicht ablege. Als Herold eintrat, zupfte er aus einem Cellophanbeutel zwei Wattebäusche und stopfte sie sich in die Ohren.
Er litt an einer Trigeminus-Neuralgie. Wenn Heinz Herold geahnt hätte, welche Höllenschmerzen den Mann fast ständig peinigten, hätte er ihm sicherlich mildernde Umstände zugebilligt. Er überreichte Herrn Schindler die Liste der Prüfungskandidaten. Der Ingenieur warf einen flüchtigen Blick auf das Papier und stieß einen Zischlaut aus, der wie das Warnsignal einer gereizten Kobra klang.
» Josssssa ! Wie oft werde ich dem Namen dieser Dame noch begegnen?«
»Keine Ahnung, Herr Ingenieur, aber ich fürchte, daß sie ziemlich hartnäckig ist.«
Herr Schindler stemmte sich aus seinem spartanischen Schreibtischstuhl empor. Sein Gesicht drückte eherne Entschlossenheit aus, die Teilnehmer am öffentlichen Verkehr auch in Zukunft vor Frau Jossa zu schützen.
»Einen Augenblick noch, Herr Ingenieur«, bat Herold.
»Was gibt’s?« knurrte Herr Schindler.
»Ohne Ihre Entscheidung auch nur im geringsten beeinflussen zu wollen, möchte ich Ihnen ein paar Worte zu dem Namen Zauner sagen, den Sie nach Frau Jossa auf der Liste finden...«
»Zauner — kommt mir auch irgendwie bekannt vor...«
»Sie haben Frau Zauner vor vier Wochen durchfallen lassen.«
»Was wollen Sie eigentlich?« fragte der Ingenieur verkniffen. »Sie wollen mich angeblich nicht beeinflussen, aber Sie wollen mir was erzählen, was mich doch beeinflussen soll. Oder etwa nicht?«
Heinz Herold ließ sich nicht einschüchtern: »Der Mann von Frau Zauner ist Vertreter einer Nährmittelfirma. Er wurde vor einer Woche wegen eines Unfalls, den er unter Alkoholeinfluß verursacht hat, zu Gefängnis, Führerscheinentzug und zu einer Geldstrafe verurteilt...«
»Na und?«
»Die Zivilklage des Mannes, den er bei dem Unfall verletzte, wird ihn voraussichtlich um alles erleichtern, was er besitzt. Zur Familie gehören zwei Kinder. Die Firma will Zauner die Vertretung nicht wegnehmen, wenn seine Frau das Geschäft für die Dauer des Führerscheinentzuges weiterführt. Der Führerschein bedeutet für vier Menschen die Existenz. — Das mußte ich Ihnen sagen, Herr Ingenieur!«
»Ich nehme das traurige Schicksal der Familie Zauner zur Kenntnis«, sagte Herr Schindler unbewegt und paukte dabei mit der Faust auf den Schreibtisch. »Wenn Frau Zauner den Anforderungen genügt, wird sie die Prüfung bestehen, wenn nicht, wird sie den Führerschein auch diesesmal nicht bekommen.« Er marschierte an Herold vorbei zur Tür, aber als er die Klinke schon in der Hand hielt, blieb er noch einmal stehen. Sein verknittertes Gesicht färbte sich dunkel: »Nervosität am Steuer ist genauso gefährlich wie Besoffenheit. Und im übrigen, Herr Herold, verbitte ich es mir ganz energisch, von Ihnen in Zukunft noch einmal mit solchen Geschichten behelligt zu werden!«
Heinz
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