Ackermann tanzt
vorgestellt hatte. »Aber wie gesagt, das meiste kenne ich nur vom Hörensagen. Wenn irgendwo was abgeht, verziehe ich mich immer.«
»Wenn de ma’ gescheit bis’, Kind.« Ackermann daute immer noch an den Geschichten herum. »Aber gestern war et wenigstens friedlich, has’ du gesacht?«
»Na ja, klar tauchten wieder ein paar Russen auf und fingen an, Randale zu machen, rempelten jeden an ...«
»Hatte einer von denen ’ne Glatze?«
»Kann sein, weiß ich nicht. Jedenfalls hatten die bestimmte Leute im Visier. Da gibt es so einen Trupp von der Hauptschule, der Obermacker heißt Kevin. Ein ganz widerlicher Typ. Aber als es gerade so richtig losging, waren auf einmal Security-Leute da und haben sofort für Ruhe gesorgt.«
»Was für Leute? Meinst du Saalordner?«
»Oder so. Es ist jedenfalls gut, dass sich endlich mal jemand drum kümmert. Hoffentlich bleibt das so. Dann kann man vielleicht mal wieder in Ruhe auf Feten gehen und seinen Spaß haben.«
»Sach ma’, wer is’ ei’ntlich der Veranstalter von diesen Partys?«
»Keine Ahnung.«
7
Björn Giltjes wimmerte leise vor sich hin. Er zupfte und zerrte, aber der Strumpf ließ sich nicht ausziehen; er war fest verklebt mit den aufgebrochenen Blasen an der Ferse und an den Zehen. Schließlich kniff der Junge die Augen zusammen, holte tief Luft und zog mit einem festen Ruck. Dabei entfuhr ihm ein kurzer Aufschrei. Erschrocken schlug er die Hand vor den Mund und blinzelte durch die Ritzen zwischen den Dielenbrettern. Nein, sein Onkel hatte ihn nicht gehört, die Melkmaschine machte Lärm genug.
Mit zusammengebissenen Zähnen tastete Björn an den Blasen herum. Die Krusten hatte er abgerissen, Blut tropfte auf den Strohballen, auf dem er saß. Kein Wunder, dass seine Füße aussahen wie Hackfleisch – er war den ganzen Weg von Kleve nach Emmerich gelaufen. Wie weit das wohl war? Fünfzig Kilometer bestimmt. Stundenlang hatte er über die Felder stapfen müssen, weit genug weg von der Straße, damit sie ihn nicht entdeckten. Mindestens hundertmal war er in den Dreck gefallen, weil er nicht sehen konnte, wo er hintrat. Seine Klamotten sahen übel aus, aber Lutz hatte gesagt, er könnte ihm nichts anderes zum Anziehen bringen, seine Mutter würde sofort merken, wenn etwas fehlte. Wenigstens eine Decke hatte er ihm besorgt. Hier auf dem Heuboden über der Tenne und dem Kuhstall war es einigermaßen warm, schon durch das Vieh, aber er hatte trotzdem den ganzen ersten Tag gefroren wie verrückt. Das war wohl normal, wenn man die halbe Nacht draußen durch den Regen gerannt war. Und dann hatte er noch Ewigkeiten in den nassen Kleidern hinter der Hecke gelegen, bis sein Vetter sich endlich mal draußen hatte blicken lassen.
Hoffentlich war Onkel Bernd bald fertig mit dem Melken, lange konnte er nicht mehr aufhalten. Lutz hatte versprochen, vor der Schule hochzukommen und ihm einen Pinkeleimer zu bringen; die alte Raviolibüchse lief schon über. Für das andere musste er sich nachts in den Stall runterschleichen und sich in die Rinne hocken und hinterher alles mit Kuhscheiße verquirlen, damit keiner was sah, hatte Lutz gesagt.
Sein Magen knurrte. Ob sein Vetter wohl heute was anderes rausschmuggeln konnte als trockenes Brot und eine Scheibe Käse?
Björn nahm einen Schluck Wasser aus der alten Milchkanne und zog die Decke um die Schultern. Hier war er sicher. Kein Mensch wusste, dass er einen Onkel in Emmerich hatte. Oder hatte er irgendwem davon erzählt? Höchstens Andy ... Andy! Der hatte es doch tatsächlich auch noch geschafft abzuhauen. Lutz hatte ihm die Zeitung gezeigt, wo die Fotos von ihm und Andy drin waren und wo stand, dass sie vermisst würden. Aber klar, Andy war schnell und verdammt stark. Wo der sich wohl versteckte?
Nein, hier würden sie ihn nicht finden, bestimmt nicht.
Heute fand das Scheunenfest in der Bedburg-Hauer Reithalle statt. Nadine hatte überhaupt nichts dagegen, ihren Vater mitzunehmen, schließlich kam sie so an eine kostenlose Fahrgelegenheit.
»So lange ich nicht deinen Babysitter spielen muss ...«
Auf der Schmelenheide staute sich der Verkehr. Obwohl es schon nach Mitternacht war, kamen immer noch ganze Horden von Jugendlichen an. Manche hatten sich zu sechst oder siebt in einen Kleinwagen gequetscht, viele waren mit Fahrrädern oder Mofas da, aber die meisten wurden offensichtlich von Mutti oder Vati gebracht.
Komisch, dachte Ackermann, zu meiner Zeit mussten wir um zwölf schon wieder zu Hause sein –
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