Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
Vom Netzwerk:
Augen unheimlich geschärft. Ich registrierte jede Einzelheit an Gerards Leiche und jedes Ding hier im Raum mit erstaunlicher Klarheit. Dann ergriff Stilgoe das Wort. ›Ich werde die Polizei verständigen‹, sagte er. ›Wir können hier nichts mehr tun. Aber das Zimmer muß sofort verschlossen werden, und den Schlüssel verwahre ich.‹ So riß er das Regiment an sich. Wir sind dann auch alle zusammen rausgegangen, und Claudia hat hinter uns abgeschlossen. Stilgoe ließ sich den Schlüssel geben. Alles weitere wissen Sie ja.«

26
    Bei den unzähligen Debatten, die in den kommenden Wochen und Monaten über die Tragödie geführt wurden, herrschte unter den Mitarbeitern von Peverell Press Einigkeit darüber, daß Marjorie Spenlove am Unglückstag etwas wirklich Einmaliges passiert war. Die Lektorin war wie immer pünktlich um neun Uhr fünfzehn in Innocent House erschienen. Sie hatte George ein flüchtiges »Guten Morgen« zugerufen, aber der saß so gramgebeugt über seiner Schalttafel, daß er sie gar nicht bemerkte. Lord Stilgoe, Dauntsey und de Witt waren zu diesem Zeitpunkt im kleinen Archiv bei der Leiche, Mrs. Demery, umringt von den übrigen Angestellten, kümmerte sich unten in der Garderobe um Miss Blackett, und so kam es, daß die Halle ein paar Minuten lang leer war. Miss Spenlove ging unverzüglich hinauf in ihr Büro, zog die Kostümjacke aus und begab sich an die Arbeit. Wenn Miss Spenlove erst einmal arbeitete, dann nahm sie von nichts und niemandem mehr Notiz, sondern hatte nur noch Augen für das Manuskript, das vor ihr lag. Peverell Press rühmte sich, daß in keinem von Miss Spenlove lektorierten Werk je ein Fehler unentdeckt geblieben sei. Wirklich in Hochform war sie bei Sachbüchern, denn bei den jungen, modernen Romanciers fiel es ihr mitunter schwer, zwischen grammatikalischen Schnitzern und dem bewußt gepflegten und vielgepriesenen ungekünstelten Stil der Autoren zu unterscheiden. Miss Spenloves Kenntnisse waren freilich nicht auf sprachliche Finessen beschränkt; nein, ihr ging keine geographische oder historische Ungenauigkeit durch, kein Widerspruch in der Schilderung von Klima, Topographie oder Kleidung blieb unbemerkt. Die Autoren schätzten sie sehr, auch wenn sie nach der abschließenden Sitzung bei ihr, in der die letzten Feinheiten vor der Drucklegung abgestimmt wurden, stets das Gefühl hatten, die einschüchternde Direktorin ihrer alten Schule habe sie soeben einer besonders traumatischen Prüfung unterzogen.
    Detective Sergeant Robbins und ein ihm unterstellter Kriminalbeamter hatten kurz nach ihrem Eintreffen das Anwesen durchsucht. Ihre Suche war ein bißchen oberflächlich ausgefallen, aber schließlich rechnete niemand ernsthaft damit, daß der Mörder sich noch auf dem Gelände befand, es sei denn, er oder sie gehörte zur Belegschaft. So war es vielleicht entschuldbar, daß Sergeant Robbins versäumt hatte, die kleine Garderobe im zweiten Stock zu inspizieren. Doch als er hinunterging, um Gabriel Dauntsey zu holen, nahm sein feines Gehör ein Hüsteln im angrenzenden Büro wahr, und als er die Tür öffnete, um nachzusehen, sah er sich einer älteren Dame gegenüber, die seelenruhig an ihrem Schreibtisch saß und arbeitete. Ihn streng über ihre Lesebrille hinweg musternd, fragte die Frau: »Und wer sind Sie?«
    »Detective Sergeant Robbins von der Metropolitan Police, Madam. Wie sind Sie hier hereingekommen?«
    »Durch die Tür. Ich arbeite hier. Das ist mein Büro. Ich bin Lektorin bei Peverell Press und habe als solche das Recht, hierzusein. Doch ich bezweifle sehr, daß Sie das gleiche von sich behaupten können.«
    »Ich bin dienstlich hier, Madam. Mr. Gerard Etienne wurde tot aufgefunden, und zwar unter ungeklärten Umständen.«
    »Soll das heißen, er wurde ermordet?«
    »Das können wir noch nicht mit Bestimmtheit sagen.«
    »Wann ist er gestorben?«
    »Das werden wir erst nach der gerichtsmedizinischen Untersuchung genauer wissen.«
    »Und wie ist er gestorben?«
    »Die Todesursache ist uns noch nicht bekannt.«
    »Junger Mann, mir scheint, Ihr Wissen ist sehr dürftig. Vielleicht sollten Sie wiederkommen, wenn Sie besser informiert sind.«
    Sergeant Robbins öffnete den Mund, machte ihn aber rasch wieder fest zu, bevor ihm ein »Ja, Miss. Sehr wohl, Miss« entschlüpfen konnte. Hastig die Tür hinter sich schließend, trat er den Rückzug an und war schon halb die Treppe hinunter, ehe ihm einfiel, daß er die Frau nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte.

Weitere Kostenlose Bücher