Adama: Teil 1 (German Edition)
riss seinen Mund auf, eine Gänsehaut perlte über seinen Rücken. Dieser
hübsche Scheiß-Kerl hatte seine Drohung tatsächlich wahr gemacht.
„Hat jemand etwas gesehen?“
Was sollte er tun, wenn das Schlimmste wirklich eingetreten war? Nackt und hilflos
fühlte er sich, ausgesetzt in der Fremde.
„Ich habe einen Informanten, aber ich weiß nicht, woher er das erfahren hat.“ Abdul
knetete erneut seine Finger.
„Was passiert jetzt mit Modibo?“
Der Tunesier schien ratlos zu sein. „Keine Ahnung. Wenn die Bullen ihn tatsächlich
haben, wird er vielleicht abgeschoben.“
Adama unterdrückte das Zittern seiner Hände.
„Los, pack vorsichtshalber deinen Kram ein und mach, dass du bei einem anderen
Kumpel unterkommst. Ich gebe dir irgendwie Bescheid.“
„Danke für die Warnung“, sagte Adama fast tonlos. Als Abdul gegangen war, faltete
er seinen Jutesack auf, den er heute zum Transport seiner Ware benutzt hatte. Wirre
Gedanken flogen durch seinen Kopf. Mit Jean Luc war nicht zu spaßen. Er zweifelte
nicht einen Moment lang, dass dieser seine Hände im Spiel hatte. Was hatte der Kerl
nun vor? War er selbst als nächstes dran? Zurück nach Mali. Zurück in die karge
Steppe, in der Banden von Tuaregs sich mit Islamisten zusammengetan hatten, um
Angst und Schrecken zu verbreiten. Sollte er vergebens vor dem beginnenden
Bürgerkrieg geflohen sein? Was sollte er dort, bei den zerstörten Heiligtümern und
verstörten Dorfbewohnern? Er konnte ohnehin nicht wieder seiner gewohnten Arbeit
als Lehrer nachgehen. Fieberhaft suchte er nach einer Lösung, nach einer
Möglichkeit, sich einen Vorteil zu verschaffen in dieser vertrackten Situation. Turm
auf Turm verschwand im Sack, doch immer langsamer, immer zögerlicher packte
Adama ein. Wie lange noch sollte er ein Spielball fremder Menschen sein? Als die
Hälfte seiner Ware bereits verpackt war, schaute er auf. Was nützte es Modibo, wenn
er jetzt das Weite suchte? Und immer wieder die Frage: was wollte Jean Luc
eigentlich? Machtspielchen treiben? Geld und Sex? Wie weit konnte Adama gehen,
um ihn hinzuhalten? Was wäre, wenn ...
Da öffnete er den Sack, langte hinein und holte seine Türme wieder heraus. Sein
Atem ging schnell und seine Unruhe stieg, als wittere er Morgenluft. Er stellte seine
Ware auf, richtete seinen Verkauf wieder ein, den Kopf trotzig erhoben. Als hätte er
nie etwas anderes getan, spähte er nach Kundschaft aus und lächelte verbindlich,
wenn das Geld seinen Besitzer wechselte. Es war kurz nach Mittag, als der Schatten
Jean Lucs auf ihn fiel. Der Polizist trug ein gut geschnittenes Shirt, seine Haut schien
eine noch intensivere Bräune angenommen zu haben als gestern. Adama gefiel
außerordentlich, was er vor sich sah, doch er riss sich zusammen. Jetzt ging es um
Modibo.
„Du hast es gehört?“
„Ja“, sagte Adama und lächelte einer Familie zu, die gerade passierte.
„Und?“ Jean Luc rieb seine Fingerspitzen aneinander, sein Blick war scharf wie das
Schlachtmesser seines Vaters.
„Du entschuldigst bitte.“ Adama schob ihn ungerührt zur Seite, damit ein kleines
Mädchen sich besser zu den Souvenirs bücken konnte. Sie suchte sich einen rot
lackierten Turm aus und streckte ihm mit einem schelmischen Lächeln ihre Hand
entgegen. Adama pflückte vier Euro-Münzen von ihrer klebrigen Haut. Er gab das
Lächeln zurück. Er lächelte lange und ausgiebig, er wusste genau, wie er mit einem
Lächeln im Gesicht aussah. Als er plötzlich seinen Kopf zu Jean Luc drehte,
gewahrte er noch den verlangenden Blick, der jedoch sofort wieder hinter einem
reglosen Bullengesicht verschwand. Adama verkniff sich ein Grinsen und fragte,
während er die Lücke in seiner Turmreihe auffüllte:
„Wo ist Modibo? Auf der Wache?“
„Und wenn?“
„Nichts!“ Adama erhob sich.
„Und wenn ich dich auch noch festnehme? Dann könnt ihr im gleichen Flieger
heimkehren.“ Jean Lucs Gesicht wirkte bedrohlich.
„Dann wird hier morgen sicher ein anderer stehen, den du vögeln kannst“, gab
Adama zurück.
Jean Lucs Kieferknochen bewegten sich, doch er schwieg und lehnte sich an den
Drahtzaun, der einen kleinen Park vom Kirchplatz abgrenzte. Sie verstummten. Jean
Luc beobachtete das bunte Treiben. Adama saß auf dem Bordstein und las in
seinem Buch, immer noch bemüht, gleichmütig zu wirken. Dann hob er den Kopf, um
die Touristenströme zu begutachten, doch die meisten von ihnen richteten ihre
Aufmerksamkeit auf
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