Adamas Freunde (Nicht von hier) (German Edition)
ihn
abgeben? Die Tränen rollten lautlos, er atmete tief ein, um nicht zu schluchzen. Er
wischte sie sich am Kissen ab und wünschte sich eine weitere Schlaftablette. Wie sollte
er die Nacht überstehen?
Das Wochenende verging ebenso ertragreich wie quälend. Abdul war nicht wieder
aufgetaucht, was Modibos Stirnfalten noch vertieften. Über Jean Luc sprachen sie nicht
mehr, es war vorbei, das Thema war zwischen ihnen abgeschlossen, sodass Adama es
aufgab, sich weitere Fragen zu Modibos Tat zu stellen. Doch der Verlust blieb, nichts
hatte das Gefühl abschwächen können. Als am Sonntagvormittag die Glocken von
Sacre Coeur über den Platz hallten, hätte Adama sich am liebsten die Ohren
zugehalten.
„Ich mach mal eine Stunde Pause“, sagte er zu Modibo. „Ich bin ganz steif vom Stehen.“
„Lass dir Zeit“, gab sein Freund zurück und nickte beruhigend.
Adama schlängelte sich zwischen Kirchgängern und Touristen hindurch, ging um die
Kirche herum und setzte sich auf eine Parkbank, wo er die Augen schloss und sein
Gesicht der Sonne entgegenreckte. Als er in Frankreich eingetroffen war, hatte er dieses
seltsame Verhalten erst nicht verstehen können. Daheim schützte man sich vor der
Sonne, man suchte sie nicht unbedingt. Doch seitdem er gemerkt hatte, dass die
Wärme feuchter und kühler war als in Westafrika, hatte er sich hin und wieder dabei
ertappt, es den Sonnenanbetern gleich zu tun. Allmählich verstummten die Glocken,
gedämpfter Gesang war aus der Kirche zu hören, eine melancholische Melodie, die ihm
die Tränen in die Augen trieb. Er senkte den Kopf und schlug sich die Hände vor das
Gesicht. Er schrak auf, als er eine zitternde Berührung an seiner Wade spürte, doch es
war nur eine der wilden Katze, die sich mit hoch erhobenem Schwanz an ihn schmiegte.
„Geh weg“, sagte er auf Bambara und schob das Tier mit dem Fuß fort.
Nein, er wollte nicht zur Treppe des Sacre Coeur. Seine Beine trugen ihn automatisch
von dort weg, als wüssten sie über seine hilflosen Versuche Bescheid, Adama
vergessen zu wollen. Normalerweise machte es ihm nichts aus, verflossene
Bettgefährten zu treffen, doch bei Adama war es anders. Vielleicht hatte dieser
irgendeinen Schamanenzauber ausgesprochen, der ihn seit ihrem letzten wundervollen,
lustreichen Treffen piesackte. Er konnte nicht an seinem Verkaufsstand vorbeigehen
aus Angst, ihm noch mehr zu verfallen. Sein Körper quälte sich ohnehin schon vor
Verlangen nach seinem biegsamen Leib und seinem verschmitzten Lächeln, das eine
Reihe blendender Zähne sehen ließ. Jean Luc lehnte sich an die Kirchenwand. Ihm war
immer noch etwas schwindelig. Das Antibiotikum, das man ihm gegeben hatte, wirkte
noch nicht vollständig. Er beobachtete von weitem, wie Modibo seinen Geschäften
nachging. Adama war nicht zu sehen. Gut so. Oder doch nicht? Er wusste nicht einmal
genau, was er fühlte, doch es trieb ihn voran. Mit aller Kraft stieß er sich ab und bewegte
sich auf den Nigerianer zu, der gerade die Scheine in seiner Bauchtasche ordnete.
„Salut Modibo, alles klar?“
Amüsiert bemerkte er, wie ihm die Tasche aus den Händen glitt und die Münzen auf den
Boden rollten. Modibos Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt, er starrte ihn an, als
hätte er einen Geist vor sich.
„Aber – aber“, stammelte er.
„Was ist los, mein Freund? Ich will noch kein Geld, keine Angst.“
„Aber du – du lebst!“ platzte es aus Modibo heraus.
„Ja, natürlich. Warum wundert dich das?“
„Aber – in der Nacht – das warst doch du!“
Jean Luc verstand auf der Stelle. Interessiert beugte er sich vor.
„Du hast es mitgekriegt? Dieser verdammte Abdul hat mich erwischt, aber es braucht
schon mehr als einen Streifschuss, um mich umzuhauen.“
„Abdul?“
„Ja, den kennst du doch bestimmt.“
Modibo nickte vage und seine Miene erhellte sich, als überkäme ihn eine Erleuchtung.
„Abdul war es?“
„Ja, wer sonst?“
„Ach, na ja, also -“ stotterte Modibo und atmete tief ein, als wäre er über etwas
erleichtert. „Also, jedenfalls bin ich froh, dass es dir jetzt besser geht.“
„Ihr habt echt geglaubt, ich wäre tot?“
„Ja, so haben wir es gehört.“
„Adama auch? Glaubt er immer noch, ich sei tot?“
„Ich denke schon“, bestätigte Modibo.
„Wo ist er?“
Der Verkäufer zuckte die Schultern und linste über ihn hinweg.
„Er wollte eine Pause machen.“
„Ich finde ihn“, sagte Jean Luc und drehte sich auf dem Absatz um.
„Und – was die Bezahlung angeht: das werde
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