Adams Erbe (German Edition)
Und aus dem Samt wurde ein Schaf, das Izydor in eine Kiste legte. Morgen würde das Schaf, eingepfercht zwischen nationalsozialistischen Adlern und Hunden, das Ghetto verlassen.
Jeden Tag erhielt ich eine Botschaft, und jeden Abend antwortete ich. Anscheinend verbrachte Bernadette, das Geistermädchen, die ganzen Sommerferien in der Fabrik ihres Vaters. Ich wagte es nicht, nach Bubi oder Kurt oder sonst jemandem aus der Familie zu fragen, und sie erwähnte auch keinen von ihnen in ihren Briefen. Sie kannten Anton Richter, aber Adam gehörte einzig und allein Bernadette.
Dann kam die letzte Juliwoche, und, Anna, wie soll ich davon erzählen?
Umsiedlung, so nannten Augusts Schergen es, so nennen sie es auch jetzt noch, denn während ich meine letzten Zeilen schreibe, fahren die Züge, und morgen…
Aber alles der Reihe nach, Anna.
Es war der 21. Juli, als Rafal wieder porzellanbleich zu uns kam. Wir sollten die Wohnung nicht verlassen, mehr wollte er nicht sagen. Aber wir pressten es aus ihm heraus.
Morgen würden die ersten Züge gehen, Richtung Osten.
»Osten?«
»Wohin genau?«
Wohin genau, das wusste Rafal nicht. In den Osten.
Frau Blemmer und ich standen auf der Liste, viel Geld hatte es gekostet, unsere Namen streichen zu lassen.
»Dass Sie auch nichts können, Adam…«
Für den Augenblick waren wir sicher. Aber wie lange noch?
Rafal verabschiedete sich mit dem Versprechen, am nächsten Abend wiederzukommen. Der Professor hustete, und Máme verfluchte irgendjemanden oder irgendetwas.
Die Schmetterlinge. War etwas dran an ihren irren Geschichten?
Im Osten hatte Bussler sich nicht gut angestellt.
»Frau Blemmer, man wird Sie hier nicht in Ruhe sterben lassen«, sagte ich.
Sie nickte, sie verstand. Ich hatte bisher so viel Glück gehabt, vielleicht würde ich noch einmal Glück haben. Ich würde mit Frau Blemmer das Ghetto verlassen, wir würden gemeinsam untertauchen. Ich würde nicht von ihrer Seite weichen, so wie ich es versprochen hatte. Wir hatten Verbindungen, wir hatten Abraham. Das dachte ich an diesem Abend.
Ich komme durcheinander, Anna. Wurde schon am nächsten Tag geschossen? Was war unheimlicher, die Schüsse oder die Stille danach?
Rafal hielt sein Versprechen und kam am nächsten Abend zu uns.
»Frau Blemmer ist bereit, das Ghetto zu verlassen«, sagte ich, kaum dass sich der Polizist hingesetzt hatte.
Seine Augenbrauen hoben sich. »Das Ghetto verlassen?«
Er schien nicht zu begreifen. Also erklärte ich ihm, dass Ruth Blemmer einverstanden sei unterzutauchen. Während ich redete, schaute Frau Blemmer durch die Löcher unserer Verdunkelung auf die Straße.
»Ich werde mich mit Abraham in Verbindung setzen«, antwortete Rafal schließlich.
»Und den Professor nehmen wir mit«, rief ich, bevor der Polizist die Tür hinter sich zuzog.
In der Nacht fand ich keinen Schlaf. Die Jacke meines Großvaters, befleckt mir Herakles’ Blut, lag neben der Matratze. Als wäre es das Kind selbst, nahm ich das Kleidungsstück in den Arm und streichelte tröstend über die Blutspuren. Lange Zeit. Bis ich etwas spürte. Ich zerschnitt das Innenfutter.
Eingenäht, eingebettet in Watte. Sieben Steine, sieben daumengroße Steine.
Rechne mit mir nach, Anna. Es waren zwölf Steine, die Edda Klingmann aus der Schweiz zurückbrachte.
Einer wurde zu Anton Richter. Das macht elf.
Einen nahm Lara und zahlte die erste Rate für die Reise nach England.
Zehn Steine.
Und sieben hielt ich nun in den Händen.
Drei Steine und die Anzahlung.
Wie konnte Edda das nur tun? Bussler muss es gewusst haben.
Sind sie alle vier in Berlin geblieben? Sind zwei gefahren und zwei nicht?
Edda Klingmann ließ mich nicht ganz im Dunkeln, zusammen mit den Steinen fand ich eine Nachricht.
Ich vertraue darauf, dass Du meinen Rat, die Jacke Deines versoffenen Großvaters gut aufzubewahren, befolgt hast.
Ich vertraue darauf, dass sie im richtigen Moment ihr Geheimnis offenbaren wird.
Greti und ich sind uns einig, dass wir in Berlin bleiben wollen. England ergibt für uns keinen Sinn. Ich habe mein Leben gelebt und geliebt, und Deine Mutter hat es auf ihre Weise auch getan. Moses und Lara haben beide Verstand genug, um sich nach England durchzuschlagen, und zur Not wird Lara Deinen Bruder hinter sich herschleifen. Du kennst sie ja.
Deshalb habe ich mich entschieden, Dir diese Steine zu vermachen, und ich hoffe, dass sie Dir helfen werden.
Adam, manchmal muss man den Wahnsinn wagen, um normal zu bleiben. Das haben wir
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