Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
Vom Netzwerk:
Gummiknüppel bewahrte Haltung.
    Kaum hatte der Polizist unsere Wohnung verlassen, kroch Herakles aus dem Schrank. Drei Kühe in seiner Hand und ein Lachen im Hals, das nur darauf wartete, freigelassen zu werden. »Applaus«, kreischte er, und schon kippte der Kinderkopf nach hinten.
    »Du bist schrecklich laut, Herakles«, maulte Frau Nilpferd und hob drohend ihre Hand. Der Junge duckte sich und setzte sich neben den Ofen.
    »Adam, sie haben noch kein Wort zu Papier gebracht«, sagte Menden. Erst jetzt sah ich, dass er mein Buch in den Händen hielt.
    »Ich wüsste nicht, was ich da reinschreiben sollte.«
    »Schreiben Sie über Berlin, über Kressendorf, über Warschau. Erzählen Sie von Ihrer Großmutter und Anna. Erzählen Sie von uns…«
    »Schreib von der Kuh… Schreib, dass sie hier war«, rief Herakles.
    »Und von Rafal, diesem Narren«, zischte Ruth.
    »Und von der Liebe. Immer wieder von der Liebe.« Der Professor lächelte.
    »Sie haben auch einmal ein Buch geschrieben, nicht wahr?«
    Menden errötete. »Woher…?«
    »Rafal hat es mir gesagt.«
    »Rafal bringt da wohl etwas durcheinander.« Das Rot brannte noch auf seinen Wangen, als er weitersprach. »Ich habe angefangen, aber ich habe es nie beendet. Ich konnte nicht, ich habe mich zu sehr geschämt.«
     »Warum? Handelte es von Ihnen?«, fragte ich.
    »Nein. Nicht direkt. Aber gleichgültig, worüber man schreibt, man gibt doch etwas von sich preis…«
    Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Ich kann nicht mehr sagen, wem die erste Träne entwich. Herakles, dem Professor, Frau Blemmer oder mir?
    Wir weinten. Alle vier. Wir weinten um die unvollendeten Geschichten, um verpasste Chancen, um die Worte, die wir nie gesagt hatten, um alles, was wir niemals verstehen würden. Wir weinten um die Scham, um die Angst und um die Liebe. Wir weinten um uns selbst. Die Kühe, die in Herakles’ vierfingriger Hand grasten, waren klitschnass.
    Die Maisonne brachte den ganzen Schmutz des Warschauer Ghettos zum Leuchten.
    Es lag etwas in der Luft, etwas Irres, als ob Millionen Schmetterlinge gleichzeitig mit den Flügeln schlagen würden.
    Ruth Blemmer und Menden gerieten fürchterlich aneinander. Es ging um den Ofen. Madam passte es nicht, dass der Professor heizte, obwohl es draußen warm war. Das Geschrei dauerte den ganzen Abend. Beide versuchten mich auf ihre Seite zu ziehen, und ich gab einfach immer wieder beiden recht.
    »Frau Blemmer, wenn ich noch einmal das Wort Brikett höre, dann… dann…«
    »Was dann? Was? Was?«
    »Dann… dann vergesse ich mich.«
    »Professor, Sie machen sich lächerlich. Was soll das denn bedeuten, Sie vergessen sich?«
    »Ich werde Sie aus dem Fenster schmeißen, haben Sie gehört, Frau Blemmer. Können Sie jetzt die Bedeutung von ›ich vergesse mich‹ ermessen?«
    »Sie sind ein alter, rheumazerfressener Mann, wie wollen Sie mich aus dem Fenster schmeißen? Wie denn?«
    »Adam, bitte sagen Sie Frau Blemmer, dass ich für jedes einzelne Kohlestückchen bezahlt habe und dass es mein Recht ist, zu heizen, ob die Sonne nun scheint oder nicht.«
    »Hör sich das einer an! Adam, sagen Sie bitte dem Professor, dass…«
    Doch ehe sie den Satz beenden konnte, tauchte Rafal auf. Natürlich Rafal. Immer im richtigen falschen Moment.
    »Ungebetener Besuch«, flüsterte der Professor und lächelte böse. Er sah seine Chance, dem Zorn der Nilpferddame zu entkommen. Und natürlich sprang sie darauf an. Frau Blemmer wandte sich Rafal zu, öffnete den Mund. Aber dann bemerkte auch sie es. Als Letzter begriff Menden, dass etwas nicht stimmte.
    Der Hilfspolizist war weißer als Porzellan, und das meine ich wörtlich, Anna. Ich habe noch nie einen so weißen Menschen gesehen. An seinen Händen und an seiner Uniform klebte Blut. Dunkelrot, fast braun. Ich suchte nach einer Wunde an seinem Körper, nach der Quelle, vergeblich.
    »Sie hätten besser auf ihn aufpassen müssen.«
    Mehr sagte er nicht, mehr musste er nicht sagen. Und wir folgten dem Polizisten, der uns zu der Quelle führte.
    Vor unserem grauen Haus, auf der grauen Straße, lag Herakles. Seine Augen waren grün. Er konnte bis hundert zählen und wusste, was eine Kuh ist, aber er hat mir nie geglaubt, dass es mehr als eine Kuh auf der Welt gibt.
    Herakles, Zeus’ Lieblingssohn. Der die unmöglichsten Aufgaben meistern musste. Er hatte neun Finger und lebte in einem Kleiderschrank.
    Er war mein Freund, und ich wünschte, ich hätte besser auf ihn aufgepasst.
    Das Weinen, Anna, war

Weitere Kostenlose Bücher