Adams Erbe (German Edition)
schüttelte den Kopf, und ich schwieg. Menden reichte uns die Gläser. Das Klirren. Das Lied der Heimat.
»Professor, haben Sie einen Stift, den Sie mir leihen können. Ich möchte schreiben. Damit wir nicht verschwinden.«
»So viele Stifte, wie Sie wollen.« Menden lächelte. »Deshalb haben Sie… Ich verstehe. Die Diamanten… Zeit. Ich verstehe.«
Wir tranken in kleinen Schlucken.
»Professor, Sie sind doch ein gebildeter Mann«, sagte Frau Blemmer. »Was wird man in hundert Jahren über diese Zeit sagen?«
Menden schwenkte das Glas in seiner Hand.
»Liebe Frau Blemmer, um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Aber ich hoffe, dass man nicht vergessen wird, dass es Menschen waren, die uns vertrieben haben, dass es Menschen waren, die dieses Ghetto errichtet haben, dass es Menschen sind, die da draußen schießen, dass es Menschen sind, die diese Züge in Bewegung setzen.«
»Dass es Menschen sind? Verlangen Sie etwa Verständnis, Menden?«
»Nein, das meine ich nicht. Es gibt höhere Gewalten, Orkane und Erdbeben. Aber was wir hier erleben, ist keine Naturkatastrophe, sondern das Werk von Menschen.«
Am nächsten Abend, nachdem Augusts Jungs und all die uniformierten Rafals ihre Arbeit für diesen Tag erledigt hatten, machte ich mich auf zu Izydor Klein.
Es dauerte, bis er mir die Tür öffnete.
»Sie leben, Adam«, sagte er und umarmte mich.
Wir erzählten uns, wie es uns seit Beginn der Umsiedlung ergangen war. Der alte Mann, der noch immer täglich das Ghetto verlassen durfte, um in Wredens Fabrik zu arbeiten, hatte mehr zu berichten als ich. Anna, nicht die Schmetterlinge waren irre.
Er zeigte mir seine eindrucksvollen Papiere, die ihn als unabkömmlichen Mitarbeiter des Wreden’schen Imperiums auswiesen. Er war in Sicherheit.
»Ich möchte Sie um etwas bitten, Izydor«, sagte ich schließlich.
»Nur zu.« Er lächelte.
»Ich möchte etwas aus dem Ghetto schmuggeln. Ein Buch. Ich möchte Sie bitten, es Bernie zu geben. Sie soll es aufbewahren. Bis… Bis der Krieg vorbei ist.«
Er zögerte nicht einen Augenblick, sondern streckte seine Hände aus. »Natürlich werde ich Ihnen diesen Gefallen tun. Geben Sie es mir.«
»Es ist noch nicht fertig.«
Wir besprachen alles. In drei Wochen würde ich ihm das Buch übergeben, bis dahin würden wir auch wissen, ob Bernadette bereit war mitzuspielen.
Ich verfasste einen Brief an das Geistermädchen und ließ Izydor meine Nachricht lesen.
»Und was soll sie nach dem Krieg damit machen?«
Ich überlegte einen Moment und kritzelte deinen Namen und meine Berliner Adresse auf den Zettel. »Da soll sie es hinschicken.«
Ich habe die Männer, die an der Wand von Eddas Dachboden hingen, niemals für unbesiegbar gehalten.
Anna,
hier endet meine Geschichte, die auch ein Teil deiner Geschichte ist. Ich schäme mich, während ich schreibe, schäme mich, wie der Professor sich geschämt hat, aber ich wate durch die Scham und gehe bis zum Ende.
Gleich werde ich Izydor dieses Buch bringen und hoffe, dass es dich eines Tages finden wird.
Morgen werde ich in einen Zug steigen. Drei Fäden, die einmal zu einem Band gehört haben, einem Band, wie es Mädchen in ihren Haaren tragen, einem Band, das Träume und Blumen zusammenhalten kann, werden mich begleiten. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, was dann geschehen wird.
Anna, als dein Blick mich traf, war alles richtig. Ich habe die ganze Welt in mir getragen. Millionen Vögel sind in mir zum Himmel aufgestiegen. In meinen Adern das Rauschen von Meeren und Flüssen.
»Sie sterben alle«, hat Bussler gesagt. Lass dir Zeit damit! Denk an deine Träume, die in Berlin auf dich warten.
Ich schließe meine Augen und sehe die Straßen unserer Stadt vor mir. Dort glitzern all die Augenblicke, die vergangenen und die zukünftigen. Die Augenblicke, die zählen. Dort haben auch wir beide etwas hinterlassen.
Und jetzt legt sich mein Herz, das an dir hängt, Anna, das für alle Zeiten an dir hängen wird, zwischen diesen Blättern für immer zur Ruhe.
Adam
III
Adams Erbe
Ich stand allein auf dem Dachboden, und doch konnte ich es hören. Das Klirren der Gläser. Das Klackern des Tischbeins. Einen Chor von Stimmen, und mitten unter ihnen meine eigene.
Unten lag Frau Huber besoffen neben Lara Cohens Sofa, und Magda klimperte noch immer auf dem Klavier. Wahrscheinlich weilte der Geist der Huberin in Venedig und meine Mutter tanzte in Gedanken mit dem King.
Ich ließ die beiden Frauen weiterträumen und legte
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