Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
Heilerin immer wieder Blicke in sein kalkweißes, schweißbedecktes Gesicht, doch die Weidenrinde schien zu wirken. Nachdem sie fertig war, atmete er hörbar auf und schlief bald darauf ein.
Folkmar lag bereits zwei Tage in der Kemenate, ohne dass sein Zustand sich verändert hatte, als Adelheid Helisende vom Fenster aus über den Hof rufen hörte: „Mutter, kommt schnell hinauf!“
Sie schob Robert die Abrechnung vom letzten Zehnttag zu, über der sie gerade die Köpfe zusammengesteckt hatten, raffte ihren Mantel hoch und rannte wie vom Teufel gejagt über den Hof. Besorgt blickte der Verwalter ihr nach.
An der steinernen Wendeltreppe kam ihre Jüngste ihr bereits aufgeregt entgegen. „Vater hat sich bewegt und etwas gemurmelt. Jetzt ist er wieder eingeschlafen!“
Hastig nickte Adelheid den anderen Verwundeten im Vorübergehen zu. Folkmar lag wie zuvor scheinbar tief schlafend, nichts deutete auf ein Erwachen hin.
„Was hast du getan, als er erwachte? Hast du ihn gestreichelt, oder hast du seine Hand gehalten?“
Helisende wand sich ein wenig, bevor sie antwortete. Wohl hatte die Mutter ihr gesagt, dass sie die Hand des Vaters nicht loslassen durfte, damit er ständig jemanden bei sich spüren sollte. Aber sie fand es reichlich albern, die ganze Zeit Händchen zu halten.
„Ich habe – gesungen!“ Helisende hatte das musische Talent ihres Vaters geerbt, sie sang sehr gern und sie fand immer viele Zuhörer, wenn sie sich zu einem Ständchen überreden ließ. Vorlaute Mäuler im Gesinde behaupteten, sie sei ein Teufel mit der Stimme eines Engels.
„Was hast du gesungen? Sag schon!“ Adelheid fasste sie unsanft am Arm und schüttelte sie.
Helisende zuckte störrisch mit den Schultern. „Ich weiß nicht mehr, irgendwas! Es wird wohl egal sein!“
Adelheid winkte resigniert ab, wenn Helisende nicht wollte, dann half kein Reden. Sie setzte sich auf den Holzschemel neben seinem Bett und überlegte, welche Melodie wohl geeignet war, Folkmar in seiner tiefen Versenkung zu erreichen. Der warme Frühlingstag fiel ihr ein, als er ihr neben der Pferdekoppel das Lied vom Grashalm vorgesungen hatte. Sie schloss die Augen und versuchte, sich an den Text zu erinnern.
„Mich hat ein Halm gestimmt so froh …“ , begann sie leise und ihre Stimme klang ungeübt und heiser, bis sie schließlich erstarb. Sie räusperte sich und begann noch einmal:
„Mich hat ein Halm gestimmt so froh,
er gibt, dass ich Gnade finde.
Ich maß dasselbe kurze Stroh …“
Sie stockte, der Text war ihr nicht mehr geläufig. Plötzlich hörte sie hinter sich die klare und helle Stimme ihrer Tochter, deren Hand sich gleichzeitig zaghaft auf ihre Schulter stahl:
„Nun höret und merket, das ging so:
Sie tut, sie tut nicht, sie tut …
Egal wie ich’s maß, das Ende war gut.
Das tröstet mich, doch gehört auch Glauben zu!“
Dankbar lächelnd wandte sich Adelheid zu ihr um und ermunterte sie: „Los, meine Kleine. Wir singen noch einmal zusammen. Wenn du mir hilfst, kann ich die Melodie besser halten.“
„Nur, wenn du nie wieder Kleine zu mir sagst!“
„Abgemacht!“
Gemeinsam wiederholten sie die Weise mehrmals. Die anderen Verwundeten lauschten andächtig und gerieten schon in Versuchung einzustimmen, als Adelheid zusammenzuckte und aufsprang. Ihr Gemahl hatte die Augen aufgeschlagen und sah sie eindringlich an. Sie griff nach seiner Hand und flüsterte: „Folkmar! Wie geht es dir? Kannst du sprechen?“
Atemlose Stille herrschte in der Kemenate, nur vom Hof drang das dumpfe Klappern der Wassereimer am Brunnen herauf. Folkmars Blicke schienen verwirrt, er sah irritiert von seiner Tochter zu seiner Frau, schließlich öffnete er mühsam die Lippen und fragte mit schwacher Stimme: „Wo bin ich?“
„Du bist zu Hause, auf Lare! Ihr habt den König geschlagen, erinnerst du dich?“
Er schloss die Augen und dachte einen Moment nach. „Ich weiß nicht …“
„Das ist nicht so schlimm, genug sind hier, die dir alles erzählen werden. Wichtig ist, dass du erst einmal wieder auf die Beine kommst. Hast du Durst? Oder möchtest du essen?“
Während Adelheid voller Freude auf den Verletzten einredete, lief Helisende geistesgegenwärtig los, um Magdalena zu benachrichtigen.
„Es ist besser, Ihr seht selbst nach ihm. Ich fürchte, Mutter wird ihn zu sehr anstrengen!“, meinte sie altklug und Magdalena staunte insgeheim über die plötzliche Weitsicht des Mädchens.
Es stellte sich heraus, dass Folkmar keinerlei
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