Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
Erinnerung an die Zeit vor oder während der Schlacht hatte. Er erkannte zwar seine Frau und auch Magdalena, doch beim Waffenschmied und bei dem schieläugigen Ritter, der mit seinem verbundenen Armstumpf ebenfalls an sein Lager trat, versagte sein Gedächtnis erneut.
In den nächsten Tagen wechselten sich die Kinder mit Magdalena und Adelheid ab, um mit ihm zu singen, spazieren zu gehen oder Schach zu spielen. Vieles erledigte er wie selbstverständlich, anderes musste er neu lernen. Es schien, als hätte sein Gehirn durch den Schlag auf den Kopf eine Schädigung erlitten, die sein Gedächtnis gestört und – was wohl noch schlimmer war – seine Persönlichkeit verändert hatte.
„Er ist wie ein Kind, naiv und lieb, aber nicht so wie früher!“, klagte Adelheid mit verzagter Stimme. „Was kann ich nur tun?“
„Nichts! Nur die Zeit kann hier helfen und ob sie es schafft, das weiß niemand.“ Magdalena sah ihrer ehemaligen Herrin ernst in die vom Weinen geröteten Augen. „Was ist so schlimm daran, wenn sein Gemüt das eines Kindes ist? Die Welt wäre in Ordnung, wären wir alle wie Kinder!“
„Aber ich liebte ihn als Mann und nicht als Kind!“
„Wenn Ihr ihn wirklich liebt, dann wird Euch der Unterschied bald nicht mehr stören.“
Einige Tage später kehrte Magdalena nach dem Straußberg zurück und Adelheid blieb mit ihren Sorgen wieder einmal allein. Sie vergrub sich in Arbeit, um auf andere Gedanken zu kommen. Gemeinsam mit Robert inspizierte sie die Keller, die Vorratskammern und die Scheuer. Sie überprüfte die Zehntlisten wohl zum hundertsten Mal und bei jeder Gelegenheit glaubte sie, Fehler zu finden. Der tüchtige Verwalter seufzte im Stillen bereits, wenn sie ihn rufen ließ. Leicht reizbar und immer schlecht gelaunt war sie allgegenwärtig und das Gesinde begann ihr plötzliches Auftauchen in den Wirtschaftsräumen zu fürchten.
Beringar und Helisende kümmerten sich rührend um ihren Vater, ihnen schien seine Veränderung am wenigsten auszumachen. Nach der Morgenmahlzeit schleppten sie Folkmar mit zum Unterricht bei Pater Julius, was ihm anscheinend sehr gefiel. Besonders in den Geschichts- und Politikstunden lebte er auf und diskutierte beinahe wie früher. Über den Rechenaufgaben grübelte er lange und mit wenig Erfolg, wenn er genug hatte, dann malte er Blumen auf seinem Pergament oder begann leise vor sich hin zu summen. Nachmittags schlief er meistens mehrere Stunden.
Wenn die Sonne tiefer stand, ging Adelheid mit ihm spazieren, wobei sie sich angeregt unterhielten und manchmal erkannte sie in seinen Scherzen und Neckereien den früheren Folkmar wieder. Dann keimte Hoffnung in ihr auf, die Verwandlung wäre nur vorübergehend und alles könne so werden wie früher.
Doch spätestens wenn er abends neben ihr in den Kissen lag und teilnahmslos wie ein ausgestopftes Tier an die Holzdecke starrte, verzagte sie erneut und fand unter Tränen keinen Schlaf. Nachts wachte er mehrmals schreiend auf, weinte wie ein Kind und schlief erst in ihren Armen wieder ein.
In ihrer Not ging sie immer häufiger in die Kapelle, um in der Abgeschiedenheit des Gotteshauses nachzudenken. Das Beten fiel ihr noch immer schwer, sie wusste nicht, wie sie Gott um etwas bitten sollte, ohne dass es gleich wieder fordernd klang. Pater Julius riet ihr, einfach nur mit Gott zu reden und ihm von ihren Sorgen zu berichten, der Allmächtige würde von selbst wissen, was zu tun sei.
N ach Ostern kehrte der Frühling ein und wie jedes Jahr gelang es ihm erneut, den Menschen Frohsinn in die Seelen und Lächeln auf die Gesichter zu legen. Adelheid hatte einige Jahre zuvor im Garten hinter dem Palas ein großes Blumenbeet angelegt, auf dem sich im ersten Aufzug Krokusse und Schneeglöckchen präsentierten. Hier fanden sie ihre Söhne, als sie gerade den überflüssig gewordenen Winterschutz von den Rosenstöcken entfernte. Überrascht richtete sie sich auf und drückte ihre schmutzigen Hände vorsichtig in den Rücken, der vom langen Bücken schmerzte. Ihr Ältester war muskulös und breitschultrig geworden in den letzten Sommern, sein Gesicht strahlte Selbstbewusstsein und Autorität aus. Es wurde Zeit, eine passende Frau für ihn zu finden. Beringar dagegen wirkte neben seinem Bruder noch schmaler und zerbrechlicher als sonst. Die vielen Stunden, die er über den Büchern zubrachte, hatten seiner schwachen Konstitution eher noch Vorschub geleistet.
„Ludwig! Beringar! Was führt euch denn in den Garten?“ Und mit
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