Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
wie ihre Gegner. Jeder war mindestens mit einem starken Knüppel bewaffnet, einige auch mit Lanzen und Messern.
Helisende griff nach ihrer Armbrust, legte einen Pfeil ein, zog die Sehne kräftig durch und zielte aus der schützenden Deckung des Wagens auf einen der noch immer aus dem Wald herausstürzenden Räuber. Ein grimmig blickender buckliger Mann, der leicht hinkend zwischen den Bäumen hervorkam und eine Keule schwang, blieb abrupt stehen, griff sich an den Hals und fiel langsam nach hinten über.
Adelheid reichte ihrer Tochter einen weiteren Pfeil. Mit ruhiger Hand und konzentriertem Blick spannte sie den Bogen erneut. Wieder fiel einer der verwahrlosten Angreifer. Doch jetzt wurden die anderen auf die Gefahr aus dem Wagen aufmerksam. Sie winkten aufgeregt in den Wald zurück und deuteten immer wieder in die Richtung, aus der die todbringenden schlanken Geschosse kamen. Während Helisende den dritten Pfeil einlegte, surrte fast unhörbar ein selbstgeschnitztes Geschoss aus einem wesentlich primitiveren Bogen zwischen den Bäumen hervor und traf das Sattelpferd in die Kruppe. Der Hengst schrie vor Schmerz, stieg trotz des Geschirrs und brachte damit auch die anderen Tiere vollends in Panik. Ein zweiter Pfeil traf den Fuhrknecht ins Genick. Der Mann, der vom Sattel aus versucht hatte, das verletzte Tier zu beruhigen, fiel nach hinten, verhedderte sich im Zaumzeug und wurde von dem nun haltlos fliehenden Gespann mitgeschleift. Helisendes letzter Pfeil blieb in einem Baumstamm stecken. Da vor ihnen lautes Kampfgetümmel den Weg versperrte, brachen die Pferde nach rechts aus, rasten den Abhang hinunter und schleiften den Wagen mit sich. Die beiden Frauen wurden zunächst nach hinten geworfen, wo die fest verzurrte Decke verhinderte, dass sie aus dem gefährlich holpernden Gefährt hinausgeschleudert wurden. Adelheid bekam die Sitzbank zu greifen und klammerte sich mit einer Hand daran fest, die andere fasste instinktiv nach Helisende und erwischte sie am Knöchel.
„Kannst du dich fest halten?“, schrie sie ihrer Tochter zu. Die Stöße des über Äste und modernde Baumstämme rumpelnden Wagens ließen ihre Stimme abgehackt klingen.
Helisende keuchte. „Wir müssen hier raus, Mutter! Der Wagen wird zerbrechen und uns zerschmettern!“
Ein furchtbares Krachen untermalte ihre Worte nur zu deutlich, das schlingernde Gefährt hatte einen Baum gestreift und wahrscheinlich eines der Räder verloren, denn der Boden bekam jetzt eine gefährliche Schräglage. Helisende zog sich an der Sitzbank hoch und begann mit ihrem Messer die Decke zu zerschneiden, die ein Verlassen des Wagens verhinderte.
„Mutter, kommt her, wir springen ab!“
Adelheid versuchte sich aufzurichten, doch eine der schweren Truhen war über ihren Fuß gerutscht und sie schaffte es nicht, ihn hervorzuziehen. Schmerzen spürte sie nicht, doch allmählich siegte die Panik über ihren Verstand. Gehetzt sah sie sich nach etwas um, das sie als Hebel benutzen konnte. Helisende hatte inzwischen die Decke entfernt, sie flatterte regenschwer hinter dem Wagen her.
Mit wachsendem Entsetzen sah Adelheid die mächtigen Baumstämme über der Wagenkante vorbeirasen. Ihre Hand ertastete das Schwert an ihrer Seite, doch bevor sie es hervorzerren konnte, krachte der Wagen mit ohrenbetäubendem Geräusch gegen den Stamm einer Esche und zerbarst. Adelheid fühlte, wie sie von unsichtbaren Kräften nach oben gehoben wurde und schlang instinktiv die Arme um den Kopf. Ihr Fuß, der noch immer unter der Truhe verkeilt war, gab mit einem abscheulich krachenden Laut nach und ihr Körper war frei. Zwischen Gepäckteilen und splitternden Brettern wurde sie dicht am Stamm der Esche vorbei in das Gestrüpp des Unterholzes geschleudert.
Als sie wieder zu sich kam, regnete es noch immer und das Wasser fiel von den Blättern der Bäume in großen Tropfen auf ihr Gesicht. Neben ihr reckte ein zersplittertes Rad seine Speichen nach oben wie Finger einer zum Himmel erhobenen Hand. Bis auf das monotone Plätschern des Regens war es still im Wald.
Vorsichtig setzte sie sich auf und sah sich um. Um sie herum verstreut lagen die Trümmer des Reisewagens. Die Fetzen der Decke hingen zum Teil auf den halbwüchsigen Eschen, die das Unterholz beherrschten. Das kompakte Unterteil des Gefährts stak verkeilt am mächtigen Stamm des Unglücksbaumes, übersät mit Gepäckteilen und geborstenen Sitzbänken. Am Fuße des Baumes lag Helisendes Kurzschwert.
Helisende! Wo war ihre Tochter?
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