Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
mir, das können sie wirklich, davon habe ich mich überzeugt. Keine wabbelnden Fettwänste unter den Kutten, sondern zähe und fleißige Männer, die auch etwas vom Ackerbau verstehen!“
Ihre Blicke glitten anerkennend über die sauber gemauerten Fensterleibungen. „Du solltest sehen, in welch gutem Zustand sie ihre Gebäude halten und wie fruchtbar ihre Felder und Obstbäume sind. Sie versorgen sich selbst und können einen Teil ihrer Erträge sogar auf dem Markt verkaufen. In ihren Teichen schwimmen fette Karpfen, ihre Schafe sind kräftig und tragen gute Wolle. Sie vertrödeln ihre Zeit auf keinen Fall mit ewigen Litaneien.“
Ein frischer Wind kam auf und bewegte die langen und biegsamen Äste der Trauerweide, die wie Vorhänge vor dem kleinen Fenster der Zelle schaukelten. Es war, als wolle der Baum die Stille der Nacht mildern und ihr damit Trost spenden, weil sie von dem, dem ihre Worte galten, keine Antwort erhalten würde. Die Luft roch nach Pilzen und feuchtem Laub und sie zog fröstelnd das wollene Tuch um ihre Schultern zusammen.
Helisende lag eng zusammengerollt mit dem Gesicht zur Wand auf dem schmalen Lager. Auch sie hätte Trost dringend gebraucht, ihre Augen brannten und fanden ebenfalls keinen Schlaf. Jedesmal wenn sie ihre Lider schloss, tauchte das glücklich lachende Gesicht Bruder Bernhards auf und ihr Herz klopfte stürmisch gegen die Rippen, als wolle es seinen Platz in ihrem Körper verlassen. Hin und her gerissen fühlte sich das Mädchen von ihren Gefühlen. Wie sollte sie ihrer Mutter beibringen, was sie für den burgundischen Mönch empfand? Konnte sie es überhaupt jemandem sagen? Leichter wurde ihre Situation jedenfalls nicht, wenn Bernhard mit nach Walkenried reiste. Obwohl sie sich unbändig freute, ihn häufiger sehen zu können, argwöhnte sie im Grunde ihres Herzens, dass die Probleme dann erst beginnen würden. Sie unterdrückte einen Seufzer und ahnte nicht, dass Adelheid längst erkannt hatte, mit welch veränderten Augen ihre Tochter den Mönch anblickte.
Eine Woche später quälten sich die Wagen des Lareschen Konvois durch schlammige Furten und über holprige Waldwege. Das Wetter war über Nacht umgeschlagen und ein scharfer Westwind trieb schwere Regentropfen in Böen über das Land. Die Decken, die als Schutz über die Wagen gespannt waren, hatten genug Wasser aufgesogen, um undicht zu werden und die nasse Ungemütlichkeit auch in das Innere der Gefährte zu lassen. Obwohl die Reisenden versucht hatten, sich gegenseitig durch Lieder und Geschichten aufzuheitern und die Zeit zu vertreiben, drang mit Kälte und Feuchtigkeit auch der Unmut in die Gemüter der Reisenden. Trübe vor sich hin starrend, hockten die Mönche in ihre Mäntel gewickelt auf den Maultieren, die ihnen Abt Robert mitgegeben hatte. Wasser tropfte unablässig von den tief herunter gezogenen Kapuzen auf die Mähnen der Tiere, die ihnen ohnehin schon am Körper klebten. Der Tross bestand aus vier Wagen, von denen drei im Besitz des Klosters Altenfeld waren. Auf ihnen befanden sich Feldgeräte, etwas Saatgut, Seile und Handwerkszeuge, Decken und Nahrungsmittel für die ersten Tage, in denen sich die Mönche notdürftig einrichten mussten. Die Reiter des Begleittrupps trotteten auf triefnassen Pferden nebenher und träumten von einem wärmenden Kaminfeuer.
Alle hofften, an diesem Tage noch bis zur Burg Scharfenstein zu gelangen, wo sie für die Nacht um Herberge bitten wollten. Doch noch galt es, ein dichtes Waldstück im Tal zu durchqueren, bevor der Weg zur Burg hinaufführen würde. An einer besonders engen Stelle in einer Schlucht, die von beiden Seiten durch flechtenbewachsene Felsen flankiert wurde, kamen die Wagen plötzlich ins Stocken. Misstrauisch reckten alle die Hälse, um zu sehen, welche Ursache der Aufenthalt haben mochte. Adelheid befahl einem Knappen, nach vorn zu reiten, denn die Spitze des Reisezuges war bereits hinter einem Felsen verschwunden. Er kam nach kurzer Zeit zurück und berichtete, ein Baum sei umgestürzt und versperre den Weg.
Helisende zog sich die Kapuze über den Kopf und sprang aus dem Wagen.
„Ich werde nachsehen. Bleibt sitzen, Mutter! Ich bin gleich zurück!“
Bevor Adelheid etwas einwenden konnte, war sie verschwunden.
Als sie sich an den Maultieren der Mönche vorbei gedrängt hatte und den Felsvorsprung passierte, sah sie eine mächtige Buche liegen, die von der linken Seite des Hanges herabgestürzt war und mit ihrer rotgefärbten Krone das Tal
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