Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
misstrauisch.
„Was ist los? Warum wehrt Ihr Euch nicht?“ Seine Stimme klang gepresst, seine Stirnglatze glänzte feucht.
„Warum sollte ich? Ich bin Eure Frau und tue meine Pflicht.“ Adelheid kam sich vor wie ein fahrender Schauspieler in einem primitiven Stück. Alles in ihr schrie: „Wehr dich! Kratz ihm die Augen aus!“ Doch sie hielt aus, mit schier übermenschlicher Kraft gelang ihr sogar ein Lächeln.
Er stutzte zunächst und war sich nicht schlüssig, wie er weiter vorgehen sollte. Dann erhob er sich und befahl ihr, sich vor ihn zu knien. Mühsam richtete sie sich auf, ihr Kopf dröhnte und ihr rechtes Auge schien zu schwellen. Er streifte sein Wollhemd ab, öffnete den Gürtel und ließ die Hosen herunter. Das Bauernmädchen schien Recht zu behalten, denn sein Geschlecht hing schlaff zwischen den Beinen.
Mit einem ärgerlichen Grunzen versuchte er, sie am Kopf zu packen, doch die Seidenhaube, die sie trug, war aus sehr glattem Stoff genäht und verhinderte einen festen Griff.
„Nun mach schon, nimm das Gebände ab!“, knurrte er ungeduldig, während ihm der Schweiß über das Gesicht lief.
Mit zitternden Fingern, die ihren stolzen Blick Lügen straften, löste Adelheid den Knoten und die Haube fiel zu Boden.
Im ersten Moment konnte sie sich nicht erklären, was die Veränderung auslöste. Er wich zurück, seine Miene, eben noch gierig und triebhaft, strahlte plötzlich Ekel und Abscheu aus.
„Was hast du mit deinen Haaren gemacht? Du siehst aus wie … wie eine Hexe!“ Beim Rückwärtsgehen stolperte er über seine Hosen und fiel rittlings auf sein nacktes Hinterteil. Adelheid musste trotz ihrer demütigenden Lage lachen. Das brachte ihn noch mehr aus der Fassung. An ihren neuen Haarschnitt hatte sie nicht mehr gedacht, Dietmar hatte sie seit ihrer Hochzeitsnacht nur mit Gebände gesehen. Es war kein Spiegel in der Kammer, aber sie konnte sich gut vorstellen, wie zerzaust sie aussah, hatte sie das kurzgeschorene Haar unter dem Gebände doch seit dem Morgen nicht mehr gekämmt.
„Verschwinde! Geh mir aus den Augen!“ Seine Stimme überschlug sich und er fiepte wie ein Ferkel, dem die Kehle durchschnitten wurde, während er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen.
Bevor sie den Raum verließ, setzte sie hastig die Haube auf. Im Saal waren zum Glück nur noch wenige Leute, einige Männer hatten sich zum Schlafen niedergelegt. Ohne auf jemanden zu achten, lief sie hinaus, über den Hof direkt in die Kapelle. Dort warf sie sich vor dem Altar auf den kalten Steinfußboden und betete.
Alles, was sich in den letzten Tagen in ihr angesammelt hatte, redete sie sich in der dunklen Kirche von der Seele. Da waren der Triumph über den soeben davongetragenen Sieg, die Trauer um den geliebten Vater, die scheußliche Erinnerung an ihre Hochzeitsnacht und die Sehnsucht nach ihrer Burg. All die widersprüchlichen Gefühle gipfelten in einem Lach- und Weinkrampf, der ihren Körper auf den kalten Steinen schüttelte. Nachdem sie lange so gelegen hatte, ohne dass sie die Kälte spürte, die in ihren Leib kroch, schlief sie erschöpft ein. Der Benediktinermönch fand sie, als er des Nachts die Vigilien beten wollte. Er bot ihr Hilfe an, doch sie lehnte ab und lief mit steifen Gliedern über den Hof in ihr Gemach zurück.
Am nächsten Morgen brachte ihr eine Magd die Waschschüssel ans Bett. Die Frau starrte sie entsetzt an, sagte aber nichts, sondern verschwand gleich wieder hinter dem Vorhang in die Kemenate. Adelheid beugte sich über das Wasser und erkannte in dem schwankenden Spiegel, dass ihr rechtes Auge zugeschwollen war und ein dunkler Bluterguss sich bis zur Schläfe zog. Für einen Moment erwog sie, sofort nach Lare zu reiten, aber sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Sie musste Ludwig Zeit lassen, die Probleme mit den Mülhusern zu klären.
In ihrer Truhe fand sie ein goldbesticktes, seidenes Kopftuch, dessen Zipfel bis auf ihre Brust reichten. Es war ein Geschenk ihrer Tante Gertrud von Northeim, die es ihr während einer ihrer sehr seltenen Besuche auf Lare gegeben hatte. Sie zog es so über den Kopf, dass der frei herunterhängende Stoff den größten Teil ihrer linken Gesichtshälfte bedeckte. Befestigt wurde das Tuch mit einem schlichten Reif aus Bronze, der es durch sein Eigengewicht fest hielt. Diese Art Kopfschmuck war zwar unpraktischer als das Gebände, weil er bei ruckartigen Bewegungen verrutschen konnte, aber sie fühlte sich wenigstens vor den neugierigen Blicken des
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