Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
Gesindes sicher. Sie beschloss, heute besonders gut auszusehen und auf ihren schwarzen Trauermantel zu verzichten. Stattdessen nahm sie ihr Hochzeitskleid aus der Truhe, das die Farbe des Nachthimmels hatte. Nur die weiße Suckenie ließ sie zurück, weiß – die Farbe des Lichtes – wie unpassend! Sie fröstelte in dem schulterfreien Kleid und legte am Ende doch den dunklen Trauermantel um, achtete aber darauf, dass der goldbestickte Stoff darunter noch zu sehen war. Das prächtige Kleid mit den weiten Prunkärmeln sollte heute von ihrem Gesicht ablenken.
Als sie endlich mit ihrer Garderobe zufrieden war, musste sie sich beeilen, um pünktlich zur Prim in der Kapelle zu sein. Ritter Dietmar war zu ihrer Erleichterung nicht anwesend. Sie erkannte Johannes, der ihr mit grüblerischem Blick zunickte und mehrere Vasallen aus des Ritters Gefolge. Die Magd Agnes, Rodin und ein weiterer Stallknecht standen im hinteren Teil der kleinen Kapelle. Die erste Reihe mit Bänken war für die Herrschaft bestimmt. Mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen lauschte Adelheid dem lateinischen Gesang des Geistlichen, wobei ihre Gedanken wieder auf Wanderschaft gingen.
Als sie später mit Johannes beim Frühstück saß, traf ein berittener Bote ein. Er überbrachte die Einladung Ludwigs zur Totenfeier für den gefallenen Grafen von Lare. Sie finde zur sechsten Stunde nach Sonnenaufgang statt.
Es gab keinerlei Verfügungen für eine Bestattung, da Graf Beringer mit so frühem Ableben nicht gerechnet hatte. Ludwig hatte daher entschieden, dass sein Vater am Fuße der nördlichen Burgmauer ein Grab erhalten sollte. Er glaubte, dass dieser Platz dem Geist des Verstorbenen zusagen würde, konnte er doch von hier aus weit über das Land sehen, das er beherrscht und geliebt hatte. Das kleine Plateau über dem Steilhang war nur von der Burg aus zugänglich. Als Junge war Ludwig oft durch die enge Pforte hinter dem Gemüsegarten der Burg geschlüpft, um über einen schmalen Pfad, der direkt an der Mauer entlang führte, die kleine versteckte Wiese aufzusuchen. Während seine Schwester am liebsten oben auf der Mauerkrone saß, hatte er hier unten im Gras gelegen und seinen Träumen nachgehangen.
Nur ein kleiner Teil der Trauergemeinschaft lief nach der Totenmesse im Gänsemarsch den Weg an der Mauer entlang: ein paar enge Freunde des Grafen, Adelheid mit ihrem Mann, Ludwig, Alwina und natürlich Pater Caesarius. Ludwig lag sehr viel daran, dass die Grabstelle des Vaters ein stiller Ort blieb. Träger hatten die Bahre mit dem Leichnam bereits an Ort und Stelle gebracht. Der Körper des Grafen lag auf einer rotsamtenen Decke, die ringsherum mit Goldborte verbrämt war und die Eichenbahre fast verdeckte. Er war fest in hellen Seidenstoff eingewickelt und mit Kamillenblüten und Rosen bedeckt. Die Träger legten den Leichnam schließlich in den bereit stehenden Sarg und verschlossen den Deckel.
Adelheid fühlte eine plötzliche Panik in sich aufsteigen, als müsse sie verhindern, dass der Körper des Vaters für immer in diesem dunklen Loch verschwinden würde. Nur mühsam unterdrückte sie ein heftiges Schluchzen und das Bedürfnis, sich mit in die Erdgrube zu stürzen. Ein dunkler Schleier verdeckte ihr geschwollenes Auge und schützte sie vor forschenden Blicken.
Auf dem Rückweg von der Grabstätte fragte sie ihren Bruder: „Ich hoffe, du hast das Denkmal im Helbetal nicht vergessen?“
„Nein, natürlich nicht. Der Steinmetz von der Keulenburg wird es herstellen. Er wurde mir von Gernot empfohlen. Unser Meister ist schon zu alt, es wird Zeit, dass wir uns nach einem neuen Fachmann umsehen.“
Sie gingen durch den Gemüsegarten auf den Eingang zu, der direkt zur Küche führte. Ludwig war voller Pläne. „Am liebsten würde ich wieder einen Steinmetz aus Italien in Stellung nehmen, sie sind nun mal die Besten. Vater hatte eine gute Wahl getroffen, als er die Burg von ihnen bauen ließ.“
„Wie soll das Kreuz aussehen? Hast du bereits einen Entwurf?“
Im Küchengewölbe roch es würzig nach Gebratenem, die Vorbereitungen für das Abendessen waren in vollem Gange. Der schwitzende Truchsess kommandierte Mägde und Küchenhilfen wie ein Heerführer mit kurzen blaffenden Sätzen. Sie nahmen im Saal an der Stirnseite der Tafel Platz, wo die anderen Trauergäste bereits vor ihren Weinkrügen saßen.
„Nein, ich hatte noch keine Gelegenheit, darüber nachzudenken. Auf alle Fälle muss es ein großes Kreuz aus weißem Kalkstein sein,
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