Adelshochzeit 2
ihren Stolz zu überwinden und ein Leben im Rowan Walk zu ertragen.
Bei dem Gedanken spürte Helen, wie eine innere Ruhe sie überkam und ihre Unsicherheit verschwand. Ihre Entscheidung war gefallen, und was sie vorhatte, war keineswegs neu oder gewagt. Viele Frauen vor ihr hatten einer diskreten Liaison zugestimmt, um sich und ihren Familien ein Dach über dem Kopf zu sichern. Sir Jason schien ein ehrenhafter, großzügiger Mensch zu sein, und nichts an ihm stieß sie in irgendeiner Weise ab – ganz im Gegenteil. Was sie selbst anging, war sie sicher, dass sie die nötige Schamlosigkeit und das Entgegenkommen aufbringen konnte. Allerdings würde sie ihr Erscheinungsbild ein wenig verbessern müssen, wenn sie nicht wollte, dass Sir Jason das Interesse verlor.
Sie hielt unwillkürlich den Atem an, als sie sich klarmachte, was sie gerade beschlossen hatte. Sir Jason war ein mächtiger, aufregender Mann. Wenn er nun ihr Angebot ablehnte oder, noch schlimmer, sie verspottete? Die Demütigung wäre nicht auszuhalten. Aber die Vorstellung, er könnte auf ihren Vorschlag eingehen, löste fast die gleiche Unruhe in ihr aus. Ihre Wangen röteten sich bei dem Gedanken an die Liebesnächte mit Harry. Würde sie bereit sein, wieder so eng mit einem Mann vereint zu sein, wenn er sie vielleicht nicht einmal besonders leiden konnte?
Dann dachte sie an Jasons Freundlichkeit und an den eindringlichen Blick seiner grauen Augen, wenn er sie ansah. Was er auch sonst für sie empfinden mochte, er hatte sie gern, da war sie sicher.
„Wie es aussieht, ist Bridgeman George nicht mehr böse, weil er ihm Westlea House nicht verkauft hat.“
Mark Hunters spöttische Bemerkung weckte die Neugier seines Bruders. Jason nahm das Opernglas herunter und blickte nach rechts.
Colin Bridgeman und George Kingston saßen tatsächlich in bestem Einvernehmen in einer der Logen. Bridgeman hatte den Kopf in den Nacken gelegt und lachte. Iris Kingston war nicht bei ihnen, obwohl Jason gesehen hatte, dass sie und ihr Gatte gemeinsam bei der Oper angekommen waren. Auf dem Weg zum Eingang des King’s Theatre hatten er und George sich mit einem knappen Nicken begrüßt, Iris und Diana einander mit einem hochmütigen Blick bedacht. Bei Dianas halblauter Bemerkung, dass es einer erleseneren Hure bedürfe, um sie von ihrem Platz zu verdrängen, hatte Jason innerlich lächeln müssen.
Jetzt fiel der Vorhang nach dem ersten Akt, und fast augenblicklich setzte ein allgemeines Geflüster im Publikum ein. Die Vorstellung war angenehm gewesen, aber nun begann die eigentliche Unterhaltung des heutigen Abends. Die Theaterbesucher flatterten von einer Loge zur anderen, um mit Freunden über die neuesten ondits zu plaudern. Mark Hunter war vor einigen Minuten hereingeschlendert, um mit seinem Bruder zu reden, und hatte seine gegenwärtige Gespielin in der Loge allein gelassen. Die hübsche Schauspielerin war umgeben von Bewunderern, doch ihre seelenvollen Blicke wanderten immer wieder zu Mark herüber, der allerdings nichts davon zu merken schien.
Kurz nach Marks Ankunft war Diana von einem ihrer Anbeter hinausbegleitet worden. Der verlegene Junge hatte höflich gefragt, ob er Mrs. Tucker zu Lord Frobishers Loge begleiten dürfe, in der ihre Freundin Mrs. Bertram gerade Hof hielt.
Das Auftreten des unerfahrenen jungen Mannes brachte Jason die Erinnerung an seine eigene Jugend zurück. Amüsiert ließ er den Blick über die ungestümen Gentlemen im Parkett schweifen. Vor mehr als fünfzehn Jahren hatten er und seine Freunde, George Kingston eingeschlossen, an ihrer Stelle gesessen, hatten gelacht und gescherzt und die eleganten Damen in den Logen mit begehrlichen Blicken bedacht. Es war ein beliebtes Spiel unter den jungen Dandys gewesen – und daran hatte sich zweifellos bis heute nichts geändert –, zu versuchen, die Aufmerksamkeit einer dieser Damen zu erlangen. Regelmäßig waren Wetten abgeschlossen worden, wer als Erster von einer der Schönen ermutigt würde – zu einem Flirt oder mehr.
Ohne besonderes Interesse verfolgte Jason das Schauspiel, das Michael Langham und Lady Corbin boten. Die alternde Countess hatte endgültig jeden Versuch aufgegeben, diskret zu sein. Ihr Busen kullerte beinahe aus dem tiefen Ausschnitt, als sie sich über den Rand ihrer Loge zum Gegenstand ihrer Begierde hinüberlehnte und heftig mit dem Fächer wedelte.
Jason lehnte sich in seinem Sessel zurück, gelangweilt von den Paarungsritualen der beau monde , und ließ den Blick
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