Adieu (German Edition)
hervorgerufen hatte; er begann ihn gleichermaßen zu lieben wie seine Nichte. Wenn von den beiden Liebenden der eine des Mitleids wert war, so war es sicher Philipp: trug er nicht für sich selbst allein die Last eines schrecklichen Schmerzes? Der Arzt zog Erkundigungen über den Oberst ein und erfuhr, daß der Unglückliche sich auf ein Gut geflüchtet hatte, das er in der Nähe von Saint-Germain besaß. Der Baron hatte, unter der Eingebung eines Traums, einen Plan gefaßt, um der Gräfin den Verstand wiederzugeben. Ohne Wissen des Doktors verwandte er den Rest des Herbstes auf die Vorbereitungen zu diesem gewaltigen Unternehmen. Ein Flüßchen lief durch seinen Park, wo es im Winter einen großen Sumpf überschwemmte, der fast demjenigen glich, der sich längs des rechten Ufers der Beresina ausbreitete. Das Dorf Satout, das auf einem kleinen Hügel lag, rahmte diese Szene des Schreckens ein, wie Studzianka die Niederung der Beresina umschloß. Der Oberst nahm eine Anzahl Arbeiter an und ließ einen Kanal ziehen, der den reißenden Fluß darstellte, wo die Schätze Frankreichs untergegangen waren, Napoleon und seine Armee. Mit Hilfe seiner Erinnerung gelang es Philipp, in seinem Park das Ufer nachzubilden, wo der General Eblé seine Brücken errichtet hatte. Er pflanzte Breche und ließ sie anzünden, um dadurch die geschwärzten und halb verbrauchten Bretter darzustellen, die auf beiden Seiten des Ufers den Nachzüglern bezeugt hatten, daß der Weg nach Frankreich ihnen versperrt war. Der Oberst ließ Holztrümmer herbeischleppen, ähnlich denen, deren sich seine Unglücksgefährten bedient hatten, um ihr Fahrzeug zu konstruieren. Er verwüstete seinen Park, um die Illusion vollkommen zu machen, auf die er seine letzte Hoffnung baute. Er beschaffte zerlumpte Uniformen und Kleider, um mehrere hundert Bauern darein zu kleiden. Er errichtete Hütten, Biwaks, Batteriestände, die er in Brand setzte. Kurz er vergaß nichts von alledem, was geeignet war, die schrecklichste aller Szenen nachzubilden, und er erreichte sein Ziel. Um die ersten Tage des Monats Dezember, als der Schnee die Erde mit einem dicken weißen Mantel bedeckt hatte, erkannte er die Beresina wieder. Dieses falsche Rußland war von einer so erschreckenden Wirklichkeit, daß auch mehrere seiner Waffengefährten die Szene ihrer ehemaligen Leiden wiedererkannten. Herr von Sucy hütete das Geheimnis dieser tragischen Darstellung, über die zu jener Zeit sich mehrere Pariser Gesellschaftskreise wie über eine Narrheit unterhielten.
Zu Beginn des Monats Januar 1820 bestieg der Oberst einen Wagen, ähnlich dem, der Herr und Frau von Vandières von Moskau nach Studzianka geführt hatte, und wandte sich nach dem Walde von Ile-Adam. Der Wagen wurde von Pferden gezogen, die fast denen glichen, die er bei Gefahr seines Lebens aus den Reihen der Russen geholt hatte. Er trug die beschmutzten und bizarren Kleider, die Waffen, die Kopfbedeckung, die er am 29. November 1812 anhatte. Er hatte sogar Bart und Haare lang wachsen lassen und sein Gesicht vernachlässigt, damit nichts an dieser scheußlichen Wirklichkeit fehlte.
»Ich habe Ihr Kommen geahnt,« rief Herr Fanjat, als er den Oberst aus dem Wagen steigen sah. »Wenn Sie wünschen, daß Ihr Projekt glückt, dann zeigen Sie sich nicht in diesem Aufzug. Heute Abend werde ich meine Nichte etwas Opium nehmen lassen. Während sie schläft, werden wir sie wie bei Studzianka anziehen und werden sie in diesen Wagen setzen. Ich folge Ihnen in einem Reisewagen.«
Etwa um zwei Uhr morgens wurde die junge Gräfin in den Wagen getragen, auf Kissen gebettet und in eine grobe Decke eingehüllt. Einige Bauern hielten Licht bei dieser einzigartigen Entführung. Plötzlich erscholl ein durchdringender Schrei in der Stille der Nacht. Philipp und der Arzt wandten sich um und erblickten Genovefa, die halbnackt aus der Kammer kam, in der sie schlief.
»Adieu, adieu! Es ist zu Ende, adieu! rief sie, heiße Tränen weinend.
»Nun, was hast du denn, Genovefa?« sagte Herr Fanjat zu ihr.
Genovefa schüttelte den Kopf mit einer Bewegung der Verzweiflung, hob die Arme gen Himmel, blickte den Wagen an, stieß einen langen Klageton aus, gab sichtliche Zeichen eines tiefen Schreckens und kehrte schweigend ins Haus zurück.
»Das ist ein gutes Vorzeichen«, rief der Oberst. »Dieses Mädchen bedauert, keine Gefährtin mehr zu haben. Sie sieht vielleicht, daß Stephanie den Verstand wiederfinden wird.
»Gott wolle es!« sagte Herr Fanjat,
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