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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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anscheinend so umfassenden Bibliothek des Barons war ich nun froh, wenigstens ein Buch vorweisen zu können. Ich zog das De brutorum aus der Tasche und legte es auf meinen Nachttisch.
    »Pearce«, sagte ich. »Kannst du mich sehen? Ich glaube, du wärst jetzt stolz auf mich. Ich bin an einen Ort großer Gelehrsamkeit gekommen.«
    Ich hatte auch den Rock eingepackt, den ich mir, einschließlich seiner Kaskade von Schulterbändern, in Paris hatte machen lassen. Und während ich ihn aufhängte, beschloss ich, um Louises willen auch einiges im Hinblick auf meine Erscheinung dazuzulernen und mich um Eleganz und Anstand zu bemühen, damit ich ihr in Gegenwart ihres Vaters und seiner aristokratischen Freunde keine Schande machte.
    Ich saß, inmitten von Unterhosen und einer ganzen Anzahl zerknitterter Hemden, auf meinem Bett, als Louise das Zimmer betrat.
    Ich wollte mich erheben, doch sie sagte: »Nein, nein Merivel, bleib sitzen.«
    Sie trug ein Glas auf einem Zinntablett, setzte es neben mir ab und sagte: »Ich bringe dir einen Kräuterlikör. Vater sagt, du seist ziemlich erschöpft von eurem langen Spaziergang. Mach es dir bequem, und dann nimm einen Schluck von dem hier. Er ist aus Holunderbeeren und Hagebutten gemacht und wird dich sehr rasch kräftigen.«
    Ich tat, wie sie geraten hatte, legte mich auf meine Kissen und schob Hemden und Wäsche um mich zusammen. Sie setzte sich neben mich und hielt mir das Glas an die Lippen, so zärtlich, als wäre ich ein Kind.
    Ich trank den Likör. Louise beobachtete mich höchst aufmerksam. Und ich fragte mich, ob sie mit der Erwartung in mein Zimmer gekommen war, ich würde mich, gewissermaßen als Intermezzo zwischen meinem Spaziergang mit dem Baron und dem Mittagsmahl, mit ihr verlustieren.
    Ich fand ihre Nähe sehr süß und tröstlich, stellte aber einmal mehr fest, dass seit meinem verachtungswürdigen Verhalten in der Kutsche nach Besançon alles sexuelle Verlangen aus meinem Körper gewichen zu sein schien. Ich hatte am Hofe häufig flüstern hören, dass gewisse Gecken, die sich in tausend Betten allzu sehr verausgabt hatten, danach gänzlich unfähig waren, den Koitus zu vollziehen, sofern sie nicht durch obszöne und ganz und gar unaussprechliche Ausschweifungen stimuliert würden, die unterdessen vor ihren Augen stattfanden. Und ich betete, dass dies bei mir nicht der Fall sein möge – dass die Hure von Besançon mit ihrem unerhört aufreizenden Verhalten mich nicht derart traktiert hatte, dass normale zärtliche Liebe mir nicht länger möglich war.
    Ich blickte Louise an und dachte an unsere Affäre im Jardin du Roi und hoffte, es würde mich ein wenig steif machen. Doch alles, was mir dazu einfiel, war die entsetzliche Winterkälte, der wir ausgesetzt waren, und wie diese Kälte an den Stellen, wo unser Fleisch entblößt war, gezwickt und gebissen hatte, und ich spürte erneut diese Kälte und zitterte.
    »Louise …«, hub ich an.
    Doch als ahnte sie, dass ich mich gleich dafür entschuldigen würde, dass ich im Augenblick so gar nicht der Liebhaber war, den sie kennengelernt hatte, legte sie mir sanft ihre Hand auf den Mund und sagte: »Pscht, Merivel. Ich glaube, du solltest die Augen schließen. Versuch eine Weile zu schlafen. Ich werde dafür sorgen, dass dir später etwas zu essen gebracht wird, denn ich weiß, wer sich bewegt hat, braucht Stärkung.«
    Ich verschlief den Tag und erwachte erst am späten Nachmittag.
    Auf den Tisch in meinem Zimmer war ein Teller mit Hühnchenpastete und eingelegtem Kohl gestellt worden, und ich verschlang alles mit unziemlicher Hast. Wenigstens ist der Hunger zurückgekehrt, dachte ich. Ich sterbe also nicht! Und nach dem Essen setzte ich mich auf meinen Nachtstuhl und schiss gewaltig und fühlte mich danach sehr erleichtert. Ich dachte bei mir: Nun bin ich von all meiner Verderbtheit gereinigt.
    Ich zog ein sauberes Hemd an und ging nach unten, konnte aber weder den Baron noch Louise finden. Da ich vermutete, dass sie zu einer weiteren Überprüfung der Weinstöcke und Obstgärten aufgebrochen waren, die beide kurz vor der vollen Reife standen und zum richtigen Zeitpunkt abgeerntet werden mussten, betrat ich die Bibliothek des Barons.
    Ich betrachtete die große Menge an Büchern (die die Anzahl der Werke in meiner Bibliothek auf Bidnold weit übertraf), atmete ihren Duft, nahm alles, was sie enthielten, tief in mich auf, und plötzlich erfüllte mich eine große Ruhe. Ich setzte mich an einen Eichentisch, der die ganze

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