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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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hierhergebracht wurde. Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Sie erkennt mich selbstverständlich nicht – und dich ebenso wenig. Aber bei ihr handelt es sich nicht um tobenden Wahnsinn, so wie du ihn mir von deinem Irrenhaus in Fenland beschrieben hast. Es ist eine Geisteskrankheit des Nichtwissens. Deshalb lebt sie in Frieden.«
    Hinter Celia, am anderen Ende des Raums, dort, wo Lampenlicht und Feuerschein kaum hinreichen, sitzt eine alte Frau genauso stumm auf einem Stuhl, vermutlich Celias Betreuerin oder Krankenschwester. Ich muss an den strahlenden Glanz denken, in dem Celia sich einst sonnte. Und es kommt mir sehr elendig vor, dass sie jetzt hier haust und, selbst noch nicht alt, das Leben eines alten Weibs führt, mit einem wirklich alten Weib als einziger Gesellschaft und beide in Dunkelheit vergessen.
    »Woher wollt Ihr wissen, dass sie in Frieden lebt, Sire?«, frage ich.
    »Nun. Schau sie dir doch an, Merivel«, sagt der König. »Beachte ihre Konzentration. Nichts stört das friedliche Wandern ihres Geistes von einem Moment zum nächsten.«
    »Wäre es ihr denn nicht lieber , wenn er gestört würde – durch einen Besuch im Theater des Herzogs oder ein gelegentliches Kartenspiel oder durch –«
    »Nein. Im Gegenteil. Derlei Dinge würden sie vollkommen verwirren, da sie deren Gesetze nicht mehr kennt.«
    Am frühen Nachmittag verlasse ich den Palast. Nach der Begegnung mit Celia befinde ich mich in einem derart aufgewühlten Zustand, dass ich mein Schwert losschnalle und es wie eine Donnerbüchse über der Schulter trage, bis ich an eine freie eiserne Bank komme, wo ich es mit großem Getöse zu Boden fallen lasse, mich niedersetze, mir die Stirn wische und mein klopfendes Herz zu beruhigen versuche. Wieso schlägt es so heftig? Weil der Name »Celia Clemence« bis zum Tag meines Todes mein Herz ergreifen wird…
    Wie ich im Keil in aller Ausführlichkeit berichtet habe, schloss ich 1664 einen höchst außergewöhnlichen und unvorhergesehenen Pakt. Bis dahin ein bescheidener Doktor für die königliche Hundemeute in Whitehall, wurde ich, aufgrund einer befremdlichen Laune des Königs, von dieser tierärztlichen Arbeit entbunden und erhielt ein Landgut in Norfolk geschenkt und dazu die Ritterwürde.
    Als Gegenleistung für diese Gaben hatte ich der Bräutigam von Celia Clemence zu werden, der jüngsten Mätresse des Königs, damit seine Liaison mit ihr vor der Welt und, insbesondere, vor seiner première amour , Lady Castlemaine, verborgen bliebe. Doch es gab eine Bedingung bei diesem Handel: Es wurde mir von Seiner Majestät untersagt, mein Weib anzurühren. Ich sollte nur dem Namen nach ihr Gemahl sein – ein Bräutigam auf dem Papier, ein entlohnter Hahnrei. Tatsächlich wurde ich aufgefordert, meine Ehre gegen weltlichen Reichtum und Aufstieg einzutauschen – und ich versprach es.
    Und so wurde ich mit Celia vermählt. In meiner Hochzeitsnacht wohnte der König meiner Braut bei, nicht ich.
    Von anderen Zerstreuungen in Anspruch genommen und leidenschaftlich verstrickt in die wilden Vergnügungen auf Bidnold mit Lady Bathurst, meiner eigenen Mätresse, war ich lange Zeit in der Lage, meinem Versprechen treu zu bleiben. Celia weilte sehr häufig in London. Obgleich sie eine hübsche Frau war, dachte ich nur selten an sie.
    Doch eines Tages, nachdem der König sie für eine Weile nach Bidnold geschickt hatte, hörte ich sie in meinem Musikzimmer singen. Ich setzte mich vor dem Zimmer auf einen Stuhl und hörte ihr zu. Celia Clemence sang mit ungewöhnlicher Musikalität und Leidenschaft. Und, ach und weh, der Klang dieser süßen, vollkommenen Stimme rührte mich derart, dass er mich nicht nur sofort in einen meiner Schluchz-Exzesse stürzte, sondern es änderten sich bei mirfortan auch alle Gefühle meiner Gemahlin gegenüber, und sie brachten mich sehr rasch dazu, dass ich mir einbildete, ich sei in sie verliebt.
    Diese Einbildung wurde in den folgenden Tagen und Wochen immer stärker. Ich wollte Celia als meine Braut besitzen. Ich wusste, dass ich alles hätte daransetzen müssen, meine Neigung zu bezwingen, dass mein Handel mit dem König bindend war, doch ich schien nicht fähig, meine Begierde zu unterdrücken.
    In einer sternklaren Nacht, als ich Celia mit auf den flachen Teil meines Daches nahm, unter dem Vorwand, am Himmel ihren Planeten Jupiter für sie zu suchen, schlang ich, in einem unschicklichen Gerangel, die Arme um sie und versuchte, sie zu küssen. Da sie in der letzten Zeit

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