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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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geboren hatte.
    Weit nach Mitternacht hörte ich (als einzige Person, die in dieser Kutsche noch wach war) das Geräusch sich rasch nähernder Hufe, und unser Gefährt begann zu schaukeln und zu beben, als der Kutscher mit der Peitsche knallte, um die armen Gäule, die sich durch die Dunkelheit kämpften, zu einer Art Galopp anzutreiben. Dennoch kam der fremde Reiter immer näher, und dann vernahm ich den Ruf: »Haltet an! Haltet an! Oder es kostet euer Leben!« Und ich wusste, dass wir, trotz des empfangenen Segens, nun durch einen kentischen Wegelagerer womöglich unser Leben, unsere Gliedmaßen oder unsere livres verlieren würden.
    Unter großem Pferdegewieher und mächtigem Räderknirschen auf der steinigen Straße kam die Kutsche entsetzlich schlingernd zum Stehen. Und dieses lärmende Gerüttel weckte meine Mitreisenden. Sie blickten sich um wie Kinder, die, noch ganz erhitzt von ihren Träumen, vergeblich nach ihren Müttern oder Ammen suchen.
    »Keine Angst«, sagte ich mit einem Lächeln. »Sicherlich nur ein Wegelagerer!«
    Und ich gestehe gern mein Vergnügen, als ich im flackernden Licht der Kutschlampen das Entsetzen in den Gesichtern sah und beobachtete, wie sie hastig zu wühlen begannen, um ihre Habseligkeiten weiter unter die Sitze zu schieben. Eine der Drillingsschwestern warf einen Schal über den Proviantkorb, und der Gutsbesitzer holte einen dicken Geldbeutel aus seiner Tasche und versuchte, ihn in seinen Stiefel zu schieben, doch sein Bein war ein wenig zu fett, und der Verschluss schaute oben heraus. Der Priester löste das Kreuz, das er um den Hals trug, jedoch nicht, um es zu küssen oder um göttliche Hilfe zu flehen, sondern um es unter seinem Gewand zu verbergen, weil es aus Silber war.
    Jetzt überlegte auch ich, wie ich retten könnte, was ich beimir trug, doch die meisten kostbaren Güter (darunter auch einige feine neue Kleider, die ich mir in London hatte anfertigen lassen) befanden sich in zwei Koffern auf dem Dach der Kutsche. Und ich glaubte nicht, dass Straßenräuber sich mit Truhen und Kisten beladen würden, da sie stets schnell wieder flüchten mussten. Es ging um Geld.
    Der Brief des Königs an Louis XIV. in der Tasche meines Rocks bereitete mir dagegen durchaus einige Sorge, denn ohne ihn besaß ich kein entrée für Frankreich – und ich weiß, dass des Königs Unterschrift und Siegel, ungeachtet des Dokuments, das damit versehen ist, stets einen guten Preis erbringt. Ich legte die Hand auf den Brief, als fasste ich mir ans Herz, dachte aber im selben Moment: »Wenn ich nicht nach Frankreich kann, dann eben nicht, das wäre halt das Ende der Geschichte. Und nichts im Leben ist mir so wichtig wie Margarets Sicherheit und Glück und dass ich hin und wieder das zustimmende Lachen meines Herrschers höre.« Und weil ich wusste, dass meine Überlegungen unzweifelhaft zutrafen, begriff ich mit einem Mal, wieso ich nicht die geringste Angst verspürte.
    Nicht lang, und die Tür der Kutsche wurde aufgerissen, und ein seltsames Gesicht erschien, Hut tief in die Stirn geschoben und ein Tuch oder Schal um die untere Hälfte gebunden, so dass es aus nichts als einer Nase zu bestehen schien.
    Diese Nase erschnüffelte die widerliche Luft im Innern, wo wir, die hilflosen Opfer, saßen, dann langte eine behandschuhte Hand herein, und diese Hand hielt eine Steinschlosspistole, mit der sie zuerst auf mich und dann auf den Priester und schließlich auf die Drillinge zielte, welche, gekräftigt durch Bier und Pasteten, versuchten, sich tapfer zu zeigen, und mutig ihre Schreie unterdrückten.
    Dann sprach eine leise Stimme. »Ich bitte ergebenst um Verzeihung, meine Herren. Meine Damen, bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an. Aber ich bin in eine schlimme Lage geraten und habe keine Mittel, um zu leben und meine Schulden zu begleichen, mir bleibt nur, Sie zu berauben. Ich vertraue darauf, dass Sie mir vergeben.«
    »Oh«, sagte ich leise zum Priester, dessen Zittern ich mit meinem ganzen Wesen spüren konnte, »ein sehr höflicher, artiger Räuber.«
    »Was soll das? Was soll das?«, fragte die Stimme. »Wer spricht da? Sind Sie das, Sir?«
    Ich sagte nichts, sah jedoch, dass die Steinschlosspistole wieder auf mich gerichtet war.
    »Glauben Sie bloß nicht, Sie könnten mir entkommen«, sagte die Stimme, und die Nase schnüffelte erneut in alle Richtungen, witterte vielleicht das gebratene Hähnchen oder die wohlriechenden Törtchen. »Das Leben hat seine Karten ausgeteilt. Ich bedauere

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