Adieu, Sir Merivel
rostroten Rock und mit glänzender Perücke, und sie setzt ihr Eisen ab, geht auf mich zu, legt die Arme um mich und küsst meine Lippen.
»Sir Rob«, sagt sie, »welch eine Freude, Euch zu sehen.«
Ihr Körper, schon immer üppig, ist nun wirklich fett, und die Haut ihres Gesichts ist nicht mehr glatt wie einst, dochdiese Veränderungen haben mein Verlangen nach ihr nicht gemindert, es hat sich nur eine süße Traurigkeit hinzugesellt, die dieses Verlangen auf geheimnisvolle Weise verstärkt.
Wir ziehen uns in Rosies Schlafgemach zurück, dessen Fenster mit Musselin verhängt ist und wie ein luftiges Behältnis für all die Musik des Flusses erscheint – sein Wirbeln und Rufen und Klagen und Lachen. Und alles, was wir einander zuflüstern, und alles, was wir veranstalten, wird somit aufgenommen und von der Welt gesammelt, und wir werden eins mit ihr, winzige Teilchen bewegten Fleisches, und doch lebendig noch, wie wir da schwimmen und atmen im Kessel der Zeit.
4
Ich bestieg die Nachtkutsche in Deptford.
Sie wurde von einem älteren Kutscher gelenkt, und ein dunkelhäutiger Wachposten stand hinter ihm. Beide Männer schienen gezeichnet, sowohl durch den Wechsel der Jahreszeiten wie auch durch das, was ihnen auf der dunklen Straße nach Dover schon alles widerfahren war.
Meine fünf Reisegefährten waren von sehr unterschiedlicher Herkunft. Einer von ihnen ein Diener Gottes, der sich bemüßigt sah (und damit erinnerte er mich stark an Pearce’ Auftreten gegenüber der Welt), unsere kleine Gesellschaft zu segnen, als die Pferde sich in Bewegung setzten und die Räder der Kutsche sich drehten. Niemand hatte ihn darum gebeten, er tat es aber dennoch, und das ist etwas, was mir an den sehr Frommen missfällt, dass sie stets meinen , die Seele eines Menschen bedürfe ihres Eingreifens, und nicht zuerst höflich fragen, ob diese Seele dies tatsächlich wünscht.
Ein weiterer in unserer Runde, ein recht beleibter Gutsbesitzer, dankte ihm nach dieser Segnung und sagte: »Nun bin ich unbesorgt, Hochwürden. Ich sah mich im Geiste schon als Opfer von Wegelagerern, die uns überfielen, jetzt aber bin ich bar jeder Furcht.«
Das Jahr neigte sich seinem Ende zu, und die Nacht Anfang Dezember war frostig. Der Boden der Kutsche war mit sauberem Stroh bestreut worden, und nach und nach griffen wir alle danach und häuften uns das Stroh um die Beine, um sie zu wärmen.
Ich versuchte, ein wenig zu schlummern, doch ich saß zwischen dem hageren Geistlichen und dem fetten Gutsbesitzer und wusste nicht, wie ich zwischen diesen beiden so unterschiedlich gepolsterten Gestalten mein Gleichgewicht finden sollte, weshalb ich mich zu einer aufrechten Haltung gezwungen sah, als wollte ich mich gleich von meinem Sitz erheben. Und was taten der Mann Gottes und der Mann des Fleisches? In ihrem geräuschvollen Schlaf fielen sie hinter mir gegeneinander und schnitten mir so den Kontakt zur Rückenlehne gänzlich ab.
Mir gegenüber saßen drei Frauen mittleren Alters, die einander so ähnlich sahen, dass ich sie für Schwestern, wenn nicht gar Drillinge hielt, geboren zur selben Stunde. Was sie hauptsächlich beschäftigte, war der Proviantkorb von beträchtlicher Größe, den sie für die Reise mitgebracht hatten, und sie reichten einander Hähnchenschenkel und gewürzte Rindfleischpastetchen und gesalzene Rettiche und eine Flasche Bier und verzehrten alles, als würden sie nie wieder eine Gelegenheit zum Essen haben.
Nachdem sie eine Weile alle drei auf dieselbe Weise geschlungen, getrunken und geräuschvoll gekaut hatten, sah ich mich von einem derart entsetzlichen Hunger gepeinigt, dass ich mir die Bemerkung erlaubte, dass es doch in Frankreich Nahrung im Übermaß gebe, dazu exzellent und auf die verschiedenste Weise zubereitet. Doch sie erwiderten mir nur, alle mit demselben verächtlichen Schnauben, man könne sich doch »ebenso gut aus unserer eigenen vorzüglichen Speisekammer versorgen«.
»Wohl wahr«, sagte ich, »doch leider Gottes habe ich meine Gedanken vor dieser Reise nicht auf irgendwelche Speisekammern gerichtet.« Und dabei hoffte ich auf eine kleine Pastete oder zumindest einen Hähnchenflügel, doch sie zogen es vor, meine offensichtliche Notlage zu ignorieren. Alles was sie mir anboten, war ein Rettich, welcher aber bitter war und in meinem Magen eine unwillkommene Menge an Gallenflüssigkeit produzierte, weshalb ich gegen diese Drillinge nun eine entschiedene Ablehnung hegte und die Frau bedauerte, die sie
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