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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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die Unannehmlichkeiten. Geben Sie mir einfach all Ihr Geld. Mehr verlange ich nicht. Dann ziehe ich von hinnen. Und Sie können Ihre Reise nach Dover fortsetzen.«
    Niemand rührte sich. Ich konnte immer noch den Geldbeutel sehen, der oben aus dem Stiefel des Gutsbesitzers guckte, und als meine Augen dorthin wanderten, folgte ihnen die Nase, und eine zweite Hand erschien und schnappte sich den Geldbeutel. Der Gutsbesitzer stieß einen kleinen zornigen Schrei aus, und als der Priester erkannte, dass unser Wegelagerer seinem Beruf mit großem Ernst nachging, murmelte er, er sei ein armer Mann Gottes, der nichts sein Eigen nenne.
    »Ich bedaure, Hochwürden«, sagte die Stimme, »es widerstrebt mir, einen Mann auf einen möglicherweise geäußerten Irrtum hinzuweisen. Ich bezweifele nicht, dass Sie sich in dem, was Sie sagen, um Ehrlichkeit bemühen, ich kann jedoch nicht glauben, dass Sie nichts besitzen. Tragen Sie nicht, zum Beispiel, ein Kreuz um den Hals? Und würden Sie es nicht vorziehen, dass ich das Kreuz nehme, anstatt Ihnen die Kette, an der es hängt, um den Hals zu legen und so lange zu ziehen, bis Sie nicht mehr atmen können?«
    Der Priester neben mir zitterte jetzt so heftig am ganzen Leib, dass ich seine Knochen in ihren Gelenken knirschen hören konnte, und vielleicht war es Mitleid mit ihm, das mich zu der Äußerung verleitete: »Ich besitze einen Ring, Räuber! Es ist ein Saphir, der mir von Seiner Majestät, König Charles, als Wiedergutmachung geschenkt wurde, weil er mich so häufig beim Tennis besiegte. Ich verbürge mich dafür, dass er mehr wert ist als alles andere hier in dieser Kutsche. Nimm ihn, er wird dir hundert livres oder zehn Pistolen einbringen, was eine Menge mehr ist als seine Pistole da. Und dann zieh ab in Frieden!«
    Ich entfernte den Handschuh meiner rechten Hand und wollte gerade den Ring mit dem Saphir vom Finger ziehen, als ein Knall, so ungeheuer wie der Donner Jupiters, die Luft erfüllte, und ich sah die Nase und den Kopf, an dem sie saß, zur Seite kippen, sofort gefolgt von der Hand mit der Steinschlosswaffe, und ich roch den Gestank von Schwefel, und durch die offene Tür der Kutsche drang beißender Rauch, der Rauch einer abgefeuerten Donnerbüchse.
    Jetzt ließen die Drillinge ihrem Schreien freien Lauf, und der Priester fiel nach vorne ins Stroh. Ich rappelte mich hoch, kletterte über die liegende Gestalt des Priesters und trat hinaus in die Dunkelheit. Bitterkalte Nacht umfing mich, und der Rauch der Donnerbüchse verhinderte jegliche Sicht. Aber binnen Kurzem klärte es sich, und ich konnte den Kutscher sehen, der die Pferde zu beruhigen suchte, und vor meinen Füßen den Körper des Wegelagerers, dessen Kopf sauber weggeschossen war. Der Wachposten, der die Donnerbüchse auf den Körper des Räubers gerichtet hielt, als frage er sich, ob ein weggeschossener Kopf einen Menschen auch hinreichend töte, stand da und schüttelte den Kopf. Dann trat er gegen den Leichnam. »Ich ertrage sie einfach nicht«, sagte er. »Wegelagerer sind Ungeziefer. Es gibt nicht einen, den ich nicht ins Jenseits befördere, wenn sich mir die Gelegenheit bietet.«
    Ich befinde mich jetzt auf hoher See.
    In meiner kleinen Kabine (die so eng ist, dass sie mich an das Zimmer erinnert, das ich bewohnte, als ich in Whittlesea arbeitete, welches mich wiederum an meine Besenkammer auf Bidnold erinnerte) versuche ich, einen Brief an Margaret zu schreiben, doch nach meinen Abenteuern in der Nachtkutsche überwältigt mich die Müdigkeit, und ich lege den Brief beiseite, lege meinen Kopf auf die sackleinerne Matratze und falle in einen tiefen Schlaf.
    Es ist später Morgen, als ich erwache. Der Tag ist sehr kalt, doch der Kanal ist ruhig, und das Schiff, eine Brigg, die englische Wolle zum Hafen von Dieppe bringt, bewegt sich so sanft und angenehm, dass all meine Ängste vor der Seereise verschwunden sind. Tatsächlich bin ich in höchstem Maße entzückt von dieser Art des Transports und frage mich, weshalb ich ihn nicht schon eher gewagt habe.
    Ich begebe mich nach oben, spaziere über das Deck, staune, dass der träge Wind doch reicht, unsere Segel zu blähen und uns voranzutreiben, und fühle mich sehr glücklich, weil ich lebe und nicht mit weggeschossenem Kopf tot auf der Straße nach Dover liege. Als Doktor habe ich in meinem Leben schon vielerlei Arten zu sterben gesehen: Tod durch Schwindsucht, Tod durch Fieberkrämpfe, Tod durch Auszehrung, Tod im Kindbett, Tod durch die Pest und Tod

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