Adieu, Sir Merivel
durch Feuer. Doch nie zuvor wurde ich Zeuge, wie der Kopf eines Menschen mit der Donnerbüchse von seinem Körper katapultiert wurde, und ich glaube nicht, dass ich das so schnell vergessen werde.
Und dennoch bin ich nun ruhig. Hier draußen, in den Weiten des Ozeans, scheint sich alles seiner selbst zu erfreuen: Sonnenlicht versilbert die kleinen Wellen und die Flügel der weißen Möwen, die uns ebenso folgen, wie sie dem Pflug folgen, und in unserem bewegten Kielwasser nach Fischen tauchen. Die fröhlichen Flaggen, die von unseren Masten wehen, scheinen den Stolz auf unsere Ladung Wolle, auf uns selbstund auf England zu verkünden. Und ich merke, wie mein Herz von einer lächerlichen patriotischen Freude erfüllt ist.
Ich stolziere wie eine fette Taube umher (ich trage Grau), plaudere mit den Matrosen, kümmere mich nicht darum, ob sie mich für närrisch oder verrückt halten, plaudere mit ihnen über dies und das und bedaure allein, dass Margaret nicht bei mir ist, nicht fühlen kann, was ich fühle, und sich daran freuen, dass meine Melancholie fürs Erste verschwunden ist und einer plötzlichen Lebenslust Platz gemacht hat.
Während der gesamten Fahrt nach Frankreich bin ich berauscht von einem unerwarteten Glücksgefühl. Doch als endlich die französische Küste auftaucht, spüre ich mit einem Mal Enttäuschung. Nicht, weil der kleine Hafen von Dieppe wenig einladend wirken würde, das tut er nicht. Vielmehr hat mich die Seefahrt selbst so fest umfangen gehalten, dass mir der Wille zur Ankunft abhandengekommen ist.
Ursprünglich hatte ich geplant, ein Gespann zu mieten und mich unverzüglich nach Versailles kutschieren zu lassen. Doch als ich von Bord gehe, bemerke ich jene Trübung der Luft, die mir stets wie das allmähliche Schwinden meiner Sehkraft erscheint und doch nur das Hereinbrechen der Dämmerung ist.
Und nun, da ich friere und meine Fröhlichkeit mich verlassen hat, weiß ich, dass ich nicht das Herz habe, um ein Gespann zu feilschen, und gewiss auch die lange Fahrt zu meinem Ziel nicht ohne einige Stunden Schlaf ertragen werde. Um mir diese Schwäche zu verzeihen, rufe ich mir einmal wieder die Worte von Montaigne ins Gedächtnis, der darauf beharrt, der Mensch könne sein Glück durch Wissen beeinflussen, welches er wiederum nur in kleinen Schritten, nach seinen eigenen Fähigkeiten , erwerben könne.
Ich frage Umstehende nach einem Gasthof in Dieppe, wo ich ein Bett und gutes Essen finden könne, und werde zu einem Haus verwiesen, das die Franzosen Auberge nennen,eine bessere Art von Schenke. Dort werde ich in ein stattliches Zimmer geführt. Ein Kammermädchen mit dicken Locken, die ihr unter der weißen Haube hervorquellen, macht mir Feuer, und ich bin froh, dass mir auf der Straße nach Dover nicht all mein Geld geraubt wurde, weil ich mich ihr nun mit ein paar sous erkenntlich zeigen kann.
Das Zimmer hat die Form einer Galerie, ist lang und schmal und nimmt das gesamte oberste Stockwerk des Gebäudes ein. Es könnten sicherlich vier oder fünf Menschen dort schlafen, es gibt jedoch nur ein Bett, das mit einem Chenille-Vorhang eingefasst ist und an dessen Fußende eine beträchtliche Anzahl Bücher in bedenklicher Weise übereinandergestapelt sind. In dem Haufen bemerke ich den ausgezeichneten Commentarius des Theodor Bibliander darüber, wie die menschliche Sprache uns von den Tieren unterscheidet, und zuoberst auf dem Stapel eine Ausgabe der Fabeln von Äsop.
Mitten im Raum steht, wie auf einer unsichtbaren Insel, auch ein schwerer hölzerner Sekretär. Und darauf sehe ich ein Tintenfass, ein Dutzend Schreibfedern, einige Bögen Pergamentpapier und einen bemalten Globus, der alles zeigt, was von der Welt bekannt ist. Neben der Tür steht ein Korb mit Gehstöcken, und an einem Nagel hängt ein Umhang aus Leder.
Zuerst stelle ich mich vors Feuer und wärme mich, bis ich spüre, dass die Kälte aus meinen Fingern weicht. Ich nehme die Decke vom Bett und hülle mich zum Trost in sie ein. Dann setze ich mich an den Sekretär und stelle fest, dass mein Rumpf sich hervorragend in den Sessel fügt, und denke bei mir, dass hier sicherlich der Geist eines Schreibers oder Kopisten hausen muss, eines Mannes, der, wie ich, einst die Geschichte seines Lebens niederschrieb und schließlich unter seine Matratze legte, weil sie ihm nicht von Bedeutung schien. Und diese Vorstellung wärmt mir ebenso sehr wie die Bettdecke Körper und Herz.
Ich schicke nach Wein und einem Teller Austern. In der
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