Adieu, Sir Merivel
Ausführung mir, vor langer Zeit in Whitehall perfektioniert, jetzt doch ein wenig schwerfiel – meine Nieren schienen zu murren.
»Unsere teure Madame de Flamanville«, sagte König Louis, »Wir sehen Sie immer gern bei Hofe. Madame de Maintenon schätzt das Gespräch mit Ihnen. Sie sagt, sie sei sonst nur von Dummköpfen umgeben! Besuchen Sie sie doch bitte heute Abend um sechs Uhr. Bringen Sie Ihre Stickerei mit. Wie Sie wissen, stickt sie gern, während sie sich unterhält.«
»Das werde ich, Majestät«, erwiderte Madame de Flamanville. »Mit großem Vergnügen. Bitte sagt Madame, dass ich dem Abend mit Freude entgegensehe. Darf ich euch unterdessen Sir Robert Merivel aus England vorstellen …«
Ich formulierte gerade im Stillen einige bescheidene Worte der Wertschätzung für die Bereitschaft des Monarchen, einen Blick auf mich zu werfen, doch als ich meinen Körper endlich aus der peinvollen Klapp-Verbeugung aufrichtete, sah ich, dass der König schon weitergeschritten war und jetzt von der Gruppe von Stutzern umringt war, die mir besagten Verdruss bereitet hatten.
Innerlich enttäuscht über dieses gebieterische Weiterschreiten, wollte ich Madame de Flamanville versichern, dass ich in meiner Sorge um Perücke und Kleidung et cetera keinesfalls vergessen hätte, König Charles’ Brief in meine Tasche zu stecken. Doch gerade, als ich den Mund öffnete, bemerkte ich, wie die unermesslich große Galerie des Glaces plötzlich vollkommen verstummte. Allein die Stimme des Königs war zu vernehmen, und er sprach in dem verführerischen Flüsterton eines Menschen, dem man stets und immer zuhören würde.
Wir erduldeten diese Stille eine beträchtliche Weile; es war, als wäre die Zeit selbst stehengeblieben, und das erinnerte mich plötzlich wieder an die Verlegenheit, in der Hollers sich befand. Ich beschloss auf der Stelle, ihm zu helfen, und sobald der König die Galerie verlassen hatte und wieder Normalität eingekehrt war, wagte ich, mich an Madame de Flamanville zu wenden. »Darf ich Sie, da Sie heute Abend Madame de Maintenon besuchen werden, im Namen eines Freundes um eine kleine Gefälligkeit bitten?«
»Ach«, sagte Madame de Flamanville und wandte sich seufzend ab, » Gefälligkeiten . Das ist ein Wort, das mir in letzter Zeit viel Missbehagen bereitet.«
»Tatsächlich …«, stammelte ich. »Nein, tatsächlich. Oder vielleicht meine ich doch ›ja, tatsächlich‹. In jedem Fall haben Sie vollkommen Recht. Bitte denken Sie nicht mehr daran.«
»Das Lästige an Gefälligkeiten, müssen Sie wissen«, sagte sie und wandte mir ihr Gesicht erneut zu, »ist, dass sie fast immer zurückzuzahlen sind. Wenn ich Ihnen nun einen Gefallen tue, wie wollen Sie ihn mir bezahlen?«
Der Blick, den sie mir schenkte, war herausfordernd, und zudem entdeckte ich in ihren Mundwinkeln den Ansatz eines Lächelns, das sie zu unterdrücken suchte.
»Ich weiß es nicht, Madame«, sagte ich lahm. »Aber bezahlen würde ich. Erbitten Sie, was immer Sie wünschen. Und vielleicht darf ich mir erlauben, Ihnen zu gestehen, dass Seine Majestät, König Charles, mir, was das Worthalten betrifft, eine bittere Lektion erteilt hat. Ich brach einmal ein ihm gegebenes Versprechen, und der Preis, den ich dafürzahlte, war entsetzlich hoch und sehr nachhaltig. Seit jener Zeit versuche ich, in allem, was ich tue, stets ehrlich und wahrhaftig zu sein.«
»Ach ja? ›Ehrlich und wahrhaftig‹? Wie außergewöhnlich! Denn blicken Sie sich doch um, Sir Robert. Wie viele ›ehrliche und wahrhaftige‹ Menschen sehen wir denn hier in der Galerie ?«
Nur widerstrebend riss ich mich vom Anblick ihres sanften Gesichts los und betrachtete die Menge pomadisierter Höflinge und mit Schönheitsflecken geschmückter Damen, die im gespiegelten Licht funkelten.
»Nun«, sagte ich, »ihren eigenen Sehnsüchten und Begierden sind sie aber vermutlich absolut treu.«
Nun lächelte Madame de Flamanville frei heraus, und sie berührte mich kokett mit ihrem Fächer am Kinn.
»Sie gefallen mir, Sir Robert«, sagte sie. »Also erzählen Sie mir doch bitte, um welche Gefälligkeit es sich handelt. Madame de Maintenon hört auf mich, und sie ist die große Ausnahme in Versailles: eine Frau, die zu ihrem Wort steht.«
Ich erzählte ihr also die Geschichte von Hollers’ Uhr, beschrieb jedoch nicht die erbärmlichen Bedingungen, unter denen wir beide zurzeit hausten, sondern erwähnte nur seinen Kummer darüber, dass er so lange zu warten habe, bis er
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