Adieu, Sir Merivel
Unterwerfung.
»Ich bitte euch, Messieurs, klärt mich auf«, sagte ich. »Welchen faux pas habe ich begangen?«
Die Stutzer drängten mich ohne viel Federlesens zu einem der Spiegel, wo sie sich um mich herum aufstellten.
»Schaut Euch bitte genau an«, sagten sie im Chor. »Und dann schaut uns an. Seht Ihr nicht die bedenkliche Ungeheuerlichkeit, deren Ihr Euch schuldig macht?«
Ich betrachtete mich gemäß ihrer Anweisung. Trotz meines gerade erst genommenen Bades erschien ich mir nicht gerade wie der Inbegriff von Gesundheit. Meine Augen waren rot, meine Haut fahl und meine Perücke glanzlos trotz meiner Bemühungen mit der Bürste. Doch schnell begriff ich,dass es den Kavalieren nicht um mein Gesicht ging, sondern um meine Schultern und Knie.
Mit neu aufkommender Heiterkeit machten sie mich auf meine bloßen Schultern aufmerksam. (Das französische Wort, das sie benutzten, lautete nu und bedeutet nackt.) Und erst da bemerkte ich an ihrer eigenen prächtigen Kleidung eine große Anzahl von Bändern, die in die Schultersäume eingenäht waren und in eleganten Kaskaden zu ihren Ellbogen herabfielen. Mein Rock besaß keinerlei Bänder. Obgleich ich ihn vor meinem Aufbruch nach Frankreich von einem erstklassigen Schneider in der Londoner St. James Street hatte anfertigen lassen, war es diesem ausgezeichneten Mann nicht in den Sinn gekommen, Bänder dort anzubringen, wo nach dem Dekret der französischen Stutzer Bänder zu sein hatten. Tatsächlich war das Wort »Bänder« zu keiner Zeit in meiner Unterhaltung mit dem Schneider gefallen.
Und was nun meine Knie betraf, so wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass jeder Höfling, der mir in der Galerie des Glaces vor Augen kam, dort am Bein, wo seine Hose endete und die Seidenstrümpfe sichtbar wurden, eine Art Satinkrause trug, die offenbar canon hieß. Und meine armen Beine waren ebenfalls nues , nirgends irgendwelche canons , und meine Knie erinnerten meine schmerzenden Augen mit einem Mal an die knolligen, nach außen gedrehten Gelenke meines Dieners Gates.
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte einer der lachenden Höflinge, »nach Eurem verdrießlichen Akzent zu urteilen, seid Ihr aus England. Wir haben durchaus Verständnis. Aber hier in Frankreich weiß jeder, dass man sich in der Öffentlichkeit, schon gar bei Hofe , nicht ohne canons sehen lassen kann. Wir empfehlen Euch dringend, Euren Schneider zu Rate zu ziehen.«
Schneider? Gerne hätte ich protestiert: »Wie soll ich in all diesem Wirrwarr einen Schneider finden, wenn ich noch nicht einmal angemessene Nahrung zur Erhaltung meinesKörpers finde, der diese Kleidung tragen soll?« Doch ich wusste, wie jämmerlich die Bemerkung mich in den Augen dieser wohlgenährten Kavaliere erscheinen lassen musste, und sagte stattdessen: »Ach! Wie dumm von mir. Erst gestern wurde mir ein Paar canons geliefert – in einem herrlichen Aquamarin übrigens, das sehr hübsch zu diesem taupefarbenen Rock passt –, doch ich vergaß, sie anzulegen.«
»Nun«, sagte ein anderer, »an Eurer Stelle würde ich hier erst wieder mit canons und Ärmelbändern promenieren. Und Taupe ist in dieser Saison selbstverständlich nicht à la mode . Versailles ist der Mittelpunkt der Welt, Monsieur ›Äänggländer‹. Der König wünscht, dass wir alle und zu allen Zeiten in unserer äußeren Erscheinung Frankreich zur Ehre gereichen – und das gilt auch für Ausländer.«
Und damit entfernten sie sich.
Allein gelassen starrte ich auf mein unangemessenes Spiegelbild, das mir in diesem unbarmherzigen Licht jedes einzelne meiner siebenundfünfzig Jahre und noch einige darüber hinaus zu zeigen schien; und dennoch – ungeachtet dessen und trotz der modischen Demütigung, die mir soeben widerfahren war – konnte ich in meiner Erscheinung immer noch eine hartnäckige Unbeschwertheit erkennen, und das war mir ein kleiner Anlass zur Freude.
Erst jetzt bemerkte ich – im Spiegel – eine Frau, die hinter mir stand. Sie hielt einen Fächer vor ihr Gesicht, so dass es zum Teil verdeckt war, dennoch wusste ich, dass sie lächelte.
Ehe ich mich umdrehen konnte, näherte sie sich mir und sagte in einem reizenden Englisch mit Akzent: »Verzeihen Sie, Monsieur, aber ich konnte nicht umhin, das soeben Vorgefallene zufällig mitzuhören. Hier am Hof ist man sehr, sehr unhöflich. Mir scheint, die Leute fühlen sich dazu verpflichtet. Sie halten Unhöflichkeit für eine ihrer vielen Pflichten, wenn sie aufsteigen wollen. Bitte erlauben Sie,
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