Adieu, Sir Merivel
ich vermochte, zu bändigen, »mein furchtbares Französisch zu entschuldigen. Ich weiß, wie unelegant es ist. Würden Sie es vorziehen, dass ich Englisch spreche? Ich war sehr beeindruckt, wie viele Ihrer Landsleute die englische Sprache verstehen.«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erklärte Corinne, »wovon er spricht. Ist er ein Flame? Hat er einen flämischen Namen? Die Flamen sind doch nie zu verstehen.«
»Er hat dich nur nach deiner mangelnden Bereitschaft, Paris zu verlassen, gefragt«, sagte Louise. »Er empfindet Mitgefühl für deine Ängste. Er sagt, es gebe viele Orte, an denen man sich verloren fühlen kann.«
»Viele Orte, an denen man sich verloren fühlen kann? Was ist das für ein Unsinn! Ich sagte ihm doch, ich begebe mich nicht an solche Orte. Ich bleibe im Faubourg Saint-Victor. Aus welcher Stadt kommt er denn?«
»Er kommt aus England«, sagte Louise. »Er ist ein Doktor der Medizin und lebt in England.«
»Doktor? Sagtest du Doktor? Er sieht gar nicht wie ein Doktor aus.«
»Ach. Das ist sehr interessant«, wagte ich einzuwerfen. »Wie stellen Sie sich denn einen Doktor vor?«
Mademoiselle Corinne wischte sich den Mund und entfernte dabei endlich den Pastinakenwurm, der in ihren Schoß fiel, nahm ihre Lorgnette und betrachtete mich von oben bis unten durch die perlenförmigen Gläser.
»Dünner«, erklärte sie.
Ich spürte, wie mich ein neuer Lachanfall überkam, ohne ihn verhindern zu können. Widerstrebend ließ ich Messer und Gabel, die gerade mit einem wunderbar gebratenen Moorhuhn beschäftigt waren, sinken und barg das Gesicht in meiner Serviette, und mein hilfloses Gurgeln erfüllte die Salle à Manger. Und – Pech für Mademoiselle Corinne – mein Lachen war derart ansteckend, dass auch Louise nur zu bald von einer nicht zu bändigenden Heiterkeit überwältigt wurde, einer Heiterkeit, die uns beinahe von den Stühlen hob.
Mademoiselle starrte uns an, blickte in blankem Entsetzen von einem zum anderen. Zum Maître d’hôtel , der hinter Louises Stuhl stand, bemerkte sie: »Es ist der Wein, Bertrand. Der Wein hat sie in Hyänen verwandelt. Ihnen kein einziger Tropfen mehr!«
Vielleicht war es auch der Wein, aber ebenso sehr hatten die anregende Fahrt, das ausgezeichnete Moorhuhn und der Anblick eines sauberen Betts dafür gesorgt, dass ich bei Einbruch der Nacht vollkommen erschöpft war.
Eigentlich hatte ich meinen Brief an Margaret beenden wollen, sah mich aber nur noch in der Lage, meine Nachtkleidung anzulegen, zwischen die Leinentücher zu kriechen und mich dem nahenden süßen Schlaf zu überlassen. Als ich die Augen schloss, dachte ich, dass ich mich seit vielen Jahren nicht mehr so glücklich gefühlt hatte wie in diesem Augenblick.
Die gesamte Nacht hindurch wurde mir eine wahrhaft epikureische Ruhe beschert, und als ich einige Zeit nach acht Uhr erwachte, erfüllte augenblicklich Freude mein Herz.
Nach dem Frühstück fragte Louise mich, ob ich Lust hätte, ihr Laboratorium zu besichtigen, und ich willigte nur allzu gern ein.
Das Laboratorium war auf marmornen Tischen zu beiden Seiten eines schmalen Raums aufgebaut. Auf ordentlichen hölzernen Regalen über den Tischen stand eine große Anzahl kleiner, sorgfältig etikettierter Apothekerfläschchen, die, wie ich sofort sah, so starke und bedenkliche Substanzen enthielten wie Arsen, Hornquecksilber und Bleiweiß.
»Sapperlot!«, sagte ich. »Sie haben hier aber viele Gifte. Verfügen Sie denn aber auch über das erforderliche Wissen?«
»Beileibe nicht«, antwortete Louise sofort. »Doch ich lerne. Ich darf gelegentlich bei den Experimenten dabei sein, die im Laboratorium des Jardin du Roi , direkt neben uns, hinter dem Tor dort, gemacht werden. Anfangs wollten die Chemiker nicht, dass ich kam, weil ich eine Frau bin. Doch ich sagte zu ihnen: ›Frauen werden von allem Experimentieren in der Welt ferngehalten. Selbst unsere Gefühle haben einem vorgeschriebenen und niemals sich ändernden Muster zu folgen. Aber warum sollte ich nicht wenigstens Ihre Experimente mitverfolgen dürfen? Worin besteht die Gefahr – außer dass meine Bewunderung für Sie nur noch weiter wächst!‹
Und obgleich einige murrten und meinten, sie bei ihrem Tun zu beobachten könnte ›meinem Verstand schaden‹ und, wie einer sagte, ›mich in eine Hexe wie die berüchtigte La Voisin verwandeln‹, gestatteten sie mir endlich den Zugang, unter der Bedingung, dass ich keine Kommentare abgab und mich niemals an irgendetwas
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