Adieu, Sir Merivel
dass ich mich für sie entschuldige.«
Ich wandte mich um und verbeugte mich vor der Fremden, die ein sehr kleidsames, aber schlichtes Gewand aus dunkelblauer Seide trug und deren Alter ich auf vielleicht fünfundvierzig schätzte. Ihr Lächeln besaß, das sah ich sofort, eine stille Schönheit.
»Vielen Dank, Madame«, erwiderte ich. »Es ist höchst liebenswürdig von Ihnen, dass Sie Anteil nehmen an meinen Unzulänglichkeiten. Ich werde mich bemühen, Abhilfe zu schaffen, wenn ich kann. Aber darf ich mich Ihnen erst einmal vorstellen. Meine Name ist Sir Robert Merivel aus der Grafschaft Norfolk im Osten Englands.«
Sie deutete einen kleinen Knicks an; ihr Fächer flatterte unterdessen die ganze Zeit vor ihrer Wange.
»Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir Robert«, entgegnete sie. »Ich bin Madame de Flamanville. Mein Gemahl ist Oberst im Regiment der Schweizer Garden.«
»Oh, die Schweizer Garden! Welch unvergesslichen Anblick sie doch bieten. Diese Disziplin in den Reihen. Dieser stoische Gleichmut in den kalten Nächten. Und wie sie die Trommeln so anmutig schlagen …«
»Ja, auch ich finde die Trommeln ergreifend: So viele Trommeln, die einen so gedämpften Ton erzeugen können. Doch nur wenigen Menschen fällt das auf. Ich werde meinem Gemahl von Ihrer Beobachtung berichten.«
Ich verbeugte mich erneut. Madame de Flamanville hatte ihren Fächer jetzt sinken lassen, und es verblüffte mich, wie klar und lebhaft ihre haselnussbraunen Augen waren.
»Und was die Frage der Bänder und canons betrifft …«, begann sie zögernd, »so halte ich persönlich es für eine Art Geistesgestörtheit, so viel Wert auf Künstlichkeiten zu legen. Doch sollte deren Fehlen an Ihrer ansonsten vortrefflichen Kleidung Sie zu vexieren beginnen, dann wüsste ich einen sehr tüchtigen Schneider in Paris, der Ihnen den Rock ändern und die canons nähen würde, und das zu einem sehr vernünftigen Preis.«
»Vielen Dank, Madame«, sagte ich. »Vielen Dank für Ihre Anteilnahme …«
Hier geriet ich ins Stocken, da ich nicht wusste, was ich sonst noch zu ihrem Angebot sagen sollte. Ich musste an das trostlose Zimmer denken, das ich mit Hollers teilte, und an die Armenkost, von der wir uns ernährten, und ich begriff, wie sehr ich mich – in der kurzen Zeit in Versailles – schon von jeglicher Normalität entfernt hatte, zu der eben auch der Besuch eines Pariser Couturiers gehören würde.
Vielleicht umwölkte sich mein Gesicht ein wenig bei diesen Gedanken, denn Madame de Flamanville kam noch näher und legte sanft eine Hand auf meinen Arm. »Meine Kutsche fährt am Mittwoch nach Paris«, sagte sie. »Wenngleich ich in Versailles wohne, um an der Seite meines Gemahls zu sein, muss ich zugeben, dass es für mich am Hof keinerlei intellektuelle Inspiration gibt. Sie werden vielleicht inzwischen bemerkt haben, dass sich hier alles um königlichen Klatsch dreht – meist aus persönlicher Neigung. Und deshalb flüchte ich, so oft ich kann, nach Paris, wo wir ein Haus besitzen. Und es wäre mir ein Vergnügen, Ihnen einen Platz in der Kutsche anzubieten.«
Ich schaute in die klaren, nussbraunen Augen. Und ich versuchte, in Madames Gedanken zu lesen, doch ihr Blick war fest und ruhig und machte mich ratlos. Die Berührung meines Ärmels mit ihrer Hand war jedoch, wie mir jetzt bewusst wurde, so außerordentlich angenehm, dass der Gedanke, mit ihr die elf Meilen bis Paris zu fahren, mich plötzlich ganz wirr vor Glück machte. Und doch antwortete ich blöde: »Ach, Madame, das ist mehr als freundlich von Ihnen, aber ich kann es unmöglich annehmen.«
In diesem Moment entstand eine Unruhe im Raum, und weil jeder sich plötzlich in dieselbe Richtung wandte, war klar, dass der König die Galerie betreten hatte. Madame de Flamanville drehte sich ebenfalls um, und zu meinem großen Erstaunen sah ich, dass König Louis sich mit seiner entourage direkt auf die Stelle zubewegte, wo wir beide standen.
Er trug einen prächtigen Rock in Scharlach und Gold. Seine Perücke über dem langnasigen, fleischigen Gesicht war ebenfalls golden und verwegen hoch. Seine Haltung war durch und durch die eines schönen, souveränen Tänzers, die Füße (auf leicht erhöhten Absätzen, um ihm mehr Größe zu verleihen) beim Gehen auswärts gestellt, der Rücken in wundervoll gerader Haltung.
Er blieb vor uns stehen, und Madame de Flamanville sank in einen tiefen Knicks, während ich in der Taille zu einer Art Verbeugung einknickte, deren
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