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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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wirst du ein großes, schwerfälliges Tier entdecken, einen Bären, den ich gerettet und aus Frankreich mitgebracht habe. Und mit der Zeit werden wir seine Eigenheiten kennenlernen, und vielleicht wird er sogar für uns tanzen.«
    »Das wusste ich nicht«, sagt sie. »Dass Bären tanzen können.«
    »Oh«, sage ich, »noch so eine Narretei von mir. Ich fürchtete, du würdest mich nur erkennen, wenn ich etwas Närrisches sage.«
    »Ich erkenne dich, Papa«, sagt Margaret, »nur bist du ein wenig anders gekleidet.«
    »Ach«, sage ich. »Noch eine Narretei: Schulterbänder! Sogar Will, der nur noch schlecht sieht, machte eine Bemerkung.«
    »Sie sind sehr vorteilhaft …«
    Sie lächelt, und dieses Lächeln macht mein Herz so glücklich, dass ich sie am liebsten hochheben und an meine Brust drücken möchte, doch ich lasse es bleiben.
    Ich frage sie nach ihren Schmerzen im Kopf, und sie erklärt mir, das sei das Schlimmste und am schwierigsten zu ertragen, und ich erkläre ihr, ich würde vom Apotheker in Norwich Opium für sie besorgen, und nach dessen Einnahme würden die Schmerzen nachlassen.
    Sie schließt die Augen, und ich vermute, dass sie wieder inden Schlaf gleitet, doch sie sagt leise: »Erzähl mir vom König von Frankreich.«
    Ich höre mich seufzen. Erst in diesem Augenblick und tatsächlich erst jetzt merke ich, wie müde ich bin und wie sehr ich mich nach Schlaf sehne, doch ich zwinge mich, Margaret einige kleine Anekdoten aus Versailles zu erzählen, um sie zu unterhalten und zu beruhigen.
    »Der König von Frankreich«, beginne ich, »nennt sich selbst Louis Dieu-donné , Louis, der von Gott Gesalbte. Er ist ein Mann des Pomps und der Glorie und vergleicht sich gern mit der Sonne – Le Roi Soleil .«
    »Ähnelt er denn der Sonne?«
    »Sehr sogar, denn er kleidet sich in Gold, und seine Perücke hat die Farbe schimmernden Kupferrots, so wie deine wunderschönen Haare, und die große Hitze, die er in einem Raum erzeugt, ist eine sehr greifbare Hitze, ich habe sie selbst gefühlt und gesehen, wie andere darin fast ohnmächtig wurden.«
    »In Ohnmacht gefallen?«
    »Ja. Sie haben einfach die Besinnung verloren! Und warum? Er gehört kaum zu uns Sterblichen. Man erzählt sich, dass er schon mit zwei Zähnen im Mund geboren wurde, durchscheinend wie Perlen, und das galt als Zeichen, dass Gott ihn auserwählt hat. Dass er das Säuglingsalter überleben und regieren würde bis in alle Ewigkeit …«
    »Nichts dauert bis in alle Ewigkeit, Papa«, sagt Margaret.
    »Bist du sicher?«, frage ich. »Und was ist mit meiner Liebe und Zuneigung zu dir? Ich sehe keinen Grund, warum sie ein Ende haben sollten.«

12
    Kein Winter meines Lebens war so kalt wie dieser, der Winter 1683-1684.
    In meinem Park legte die Kälte ihren frostigen Brand auf jedes Blatt und jeden Zweig, auf jeden Stein und jeden Grashalm. Vögel, die in den Bäumen saßen, fielen zu Boden und starben. Rote Eichhörnchen kratzten und nagten an den Stellen, wo sie ihre Vorräte versteckt hielten, doch die Erde hatte sich in Granit verwandelt. Die Eichhörnchen wurden mager und struppig und verschwanden.
    Ich gab den Befehl, das Rotwild zusammenzutreiben und zum Schutz in die Kuhställe zu führen, doch selbst dort fror das Wasser nachts in ihrem Trog. Die Tiere drängten sich aneinander, um warm zu bleiben, und ihre reizenden Gesichter, die mich allesamt mit stillem Vorwurf anblickten, erinnerten mich an Stiefmütterchen.
    »Es wird aufhören«, sagte ich zu ihnen. »Auch dieser Winter ist endlich.«
    Doch ein Ende war nicht in Sicht. Die Holzfäller, die den Auftrag hatten, die Einfriedung für den Bären zu bauen, erklärten, sie könnten, selbst mit den spitzesten Eispickeln, keine Löcher für die Pfosten machen. Infolgedessen konnte ich den Bären nicht ins Freie lassen, er musste im Käfig bleiben, und die Kinder der Holzfäller in ihren zerfetzten, nur mit einer Schnur zusammengehaltenen Wolllumpen schlichen sich in meinen Park und bewarfen das Geschöpf mit Stöcken und Eiszapfen, um es zu ärgern und zu quälen.
    »Das dürfen sie nicht«, schalt ich die Holzfäller. »Ihr müsst sie zurückhalten, oder ich werfe euch allesamt von meinem Grundstück.«
    Doch wohin sollte ich sie vertreiben? Ins Arbeitshaus? Und ich war ja auch angewiesen auf diese Menschen. Sie lieferten das Kleinholz für Cattleburys Kochherde, für das wärmende Feuer in meinen Räumen und für die Flamme, die Tag und Nacht in Margarets Krankenzimmer zu brennen

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