Adieu, Sir Merivel
Möwen uns daran erinnerte, dass unser Fahrzeug nicht das letzte und einzige Ding auf derOberfläche der Erde war, ließ ich mich, anstatt nach unten in meine Kabine zu gehen, oben an Deck auf einem Hühnerkorb nieder, blieb sehr still sitzen und betrachtete meinen Gefangenen.
Die Stille wurde hin und wieder durch die Hühner gestört, die unschicklicherweise versuchten, durch die Löcher im Weidengeflecht an meinem Allerwertesten zu picken, doch ich fand etwas Sackleinen und breitete es über den Korb, woraufhin die Hühner sich ein wenig höflicher zeigten, vielleicht, weil sie glaubten, die Nacht sei plötzlich hereingebrochen.
In besserer Verfassung, anders als an dem Tag, da Louise und ich ihn im Jardin du Roi gesehen hatten, beschäftigte sich der Bär eine ganze Weile mit einem Stück Fleisch, zog dann einen Kreis, schiss gewaltig, trank Wasser aus einem Blecheimer und ließ sich anschließend nieder, um mich, ruhig und gelassen, auf ziemlich ähnliche Weise zu betrachten wie ich ihn.
Worte meines geliebten Montaigne, die er, glaube ich, über einen Hund oder eine Katze schrieb, kamen mir in den Sinn. Bei Tieren, behauptet er, könne sogar das Schweigen eine Forderung ausdrücken, und ich überlegte, welche Forderung der Bär wohl gerade an mich stellte oder ich an ihn.
Denn ich begriff sehr wohl, dass wir uns beide gerade im Übergang von einer Zeit in eine andere befanden und dass uns vielerlei Verwirrungen quälten. Der Bär konnte weder das Element, auf dem er sich befand – das Meer –, begreifen noch hatte er eine Idee von der Zukunft. Was mich betraf, so hatte ich keine Mühe, mich als das Tier im Käfig vorzustellen. Groß waren meine Zweifel, ob mir nach meinem kläglichen Scheitern in Versailles noch jemals etwas gelingen würde, groß auch die Zweifel, ob und wen ich denn noch würde lieben können, ohne mich von einem Schwert durchstoßen zu sehen.
Zum Bären sagte ich: »Das Schiff, das uns trägt, bewegtsich auf dem Wasser nach England, mein armer Freund, doch der Nebel hüllt uns in einen gespenstischen Schleier des Nichtwissens.«
In der Kälte begannen meine Glieder sich zu verkrampfen, doch ich blieb auf dem Hühnerkorb sitzen und tröstete mich mit der Erinnerung an Louise, an ihre süße Wärme, ihre lebhafte Unterhaltung und ihre üppigen Brüste, und ich fragte mich, ob ich nicht, nach siebenundfünfzig Lebensjahren, am Ende doch die Liebe gefunden hatte.
»Was glaubst du?«, fragte ich den Bären. »Täusche ich mich?«
Und als Antwort streckte das Tier sich sacht aus und schloss die Augen.
Ich blieb eine Nacht in Dover, in einem ärmlichen Gasthaus ohne wärmendes Feuer.
Dort sorgte ich dafür, dass der Bär mit einem Fuhrwerk nach Norfolk gebracht würde, und musste teuer dafür bezahlen, da es schwierig war, in Dover einen Mann zu finden, der die Fahrt auf sich nehmen wollte. Ich glaube wahrhaftig, alle Menschen in Dover sind von der Nähe zum Meer leicht gepökelt und entfernen sich nicht allzu gern vom Ozean. Wenn ich sie gebeten hätte, einen Walfisch in einem großen Wasserfass nach Bidnold zu fahren, hätten sie es vielleicht, aufgrund einer natürlichen Ähnlichkeit mit diesem Ungeheuer der Tiefe, getan, doch der warmblütige Bär und die weite Strecke, die sie für bloße siebzehn Schilling in seiner Gesellschaft zurücklegen müssten, schreckten sie ab.
Zum Glück war ich gut mit Geld versorgt, da ich für den Saphirring zwölf pistoles von dem Juwelier, einem Bekannten von Monsieur Durand, erhalten, den Wachposten im Jardin du Roi aber nur zehn versprochen hatte. Und für die überzähligen zweihundert livres , die das Geschäft mir eingebracht hatte, würde ich in der nächsten Zeit noch dankbar sein.
Nur hin und wieder schalt ich mich dafür, dass ich etwas derart Kostbares verkauft hatte, etwas, das ich niemals wieder zurückerlangen würde.
Kaum war meine Mietkutsche in die Auffahrt von Bidnold, in seinen mit Schnee gepuderten Park eingebogen, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass mich in meinem Haus etwas erwartete, was mir nicht gefallen würde. Ich kann dieses Gefühl nicht erklären, ich weiß nur, dass mir bei meiner Ankunft in der Abenddämmerung alles sehr verschattet und wie erstorben schien, kein Wild war zu sehen, kein Vogel oder sonst ein Tier, und in meinem Herzen wollte sich nicht die gewohnte Fröhlichkeit einstellen, dass ich wieder einmal in meinem geliebten Bidnold war.
Als wir zur Haustür vorfuhren, kam Will Gates heraus – wie er es
Weitere Kostenlose Bücher