Adieu, Sir Merivel
dass ihre Äste unter der Last brechen würden, und die Vorstellung, dass meine Bäume zu Fall gebracht würden, steigerte meine Wut nur noch.
Ich lief weiter. Mein Atem wehte als bläulicher Schwaden vor mir her, und die eisige Luft stach mir in die Lunge. Die grüne Parklandschaft hatte sich zu wogenden weißen, vom Wind geformten Dünen aufgewellt. Zu dem Huhn, das kleine Flatterbewegungen machen musste, um mit mir Schritt zu halten, wozu es aber, als fehlte ihm Gesellschaft, durchaus entschlossen schien, bemerkte ich: »Diese Schneedünen sind wie der Sand einer Wüste.«
In jener Nacht träumte ich, während ich auf einem Bettvorleger in Margarets Zimmer ein wenig schlief, von Pearce.
Er kam mir an einem Flussufer entgegengelaufen, und der Fluss war silbrig von der Sonne, und all die wilden Pflanzen, die am Ufer wuchsen, so üppig, kräftig und leuchtend.
»Pearce«, sagte ich in meinem Traum, »da bist du endlich. Sag mir, was ich tun kann, um meine Tochter zu retten. Ich flehe dich an, sag es mir.«
Pearce setzte sich mitten zwischen die Pflanzen, die ihn wie ein grüner Sessel sicher zu halten schienen. Er wollte sich nicht bequemen, mich anzublicken, doch nach einigen Augenblicken – das Wasser floss lieblich dahin – sagte er: »Geh, wohin du immer gehst. Geh dorthin, wohin zu gehen du dir nicht versagen kannst.«
Ich schwieg. Eine von Pearce’ beunruhigendsten Eigenheiten war es, in Rätseln zu sprechen, und sehr oft führten diese Rätsel zu keinerlei Lösung, und oft blieb ich mit dem Gefühl meiner eigenen Beschränktheit zurück.
»Und wo ist das?«, fragte mein träumendes Ich. »Du musst mir sagen wo, Pearce.«
Doch zu meiner Bestürzung erhob er sich aus seiner weichen Pflanzen- Chaise und machte Anstalten, sich von mir zu entfernen.
»Geh nicht!«, flehte ich. »Sag mir, was ich tun soll!«
Er hielt inne und blieb stehen, und ich sah, dass er in seinen Händen die blauweiße Suppenkelle trug, und ich rief laut: »Ich bin froh, dass du die Kelle noch hast, Pearce! Um deinetwillen bin ich sehr froh, dass sie nicht verlorengegangen ist!«
Er beachtete meine Worte nicht, drückte die Kelle jedoch liebevoll an seinen mageren Körper und sagte: »Stell dir vor, du wärst ein Sklave zur Zeit Julius Cäsars. Dieser Sklave hat die Abwesenheit von Freiheit in seinem Leben vollkommen vergessen, das ist seine Krankheit, und an der leidest du ebenfalls. So ist es doch?«
»Nun ja –«
»Stell dir vor, du wärst dieser Sklave und ein furchtbarer Kummer oder Schmerz würde dich bedrängen; wen würdest du um Hilfe bitten?«
Ich zögerte einen Moment, dann sagte ich: »Ich würde mich wohl an Cäsar wenden.«
»Natürlich tätest du das. Denn im Grunde deines Herzens liebst du dein Sklaventum; deshalb bist du immer noch einSklave. Hier hast du also deine Antwort: Du musst zu Cäsar gehen.«
Eure Majestät, schrieb ich,
Euer Diener Merivel sendet Euch seine ergebensten Grüße aus den Schneewüsten von Norfolk, wo wir in ein großes Weiß eingeschlossen sind, desgleichen ich noch niemals sah.
Ich weiß nicht, wie dieser Brief Euch erreichen wird, denn weder Briefbote noch Wagen finden derzeit hierher nach Bidnold. Ich schreibe dennoch, teils auch, um meine Seele zu beschwichtigen, die sich in Todesangst befindet.
Sire, Margaret stirbt an Typhus.
Ich habe jedes Mittel, das ich kenne, versucht, doch indem die Tage verstreichen, muss ich feststellen, dass sie keine Heilung bringen. Sollte ein Arzt in Whitehall mit besserer Kenntnis dieser heimtückischen Krankheit als ich einen Rat wissen, den ich befolgen sollte, dann bitte ich Euch in aller Bescheidenheit, mir diesen Rat zukommen zu lassen. Denn ich bin gewiss, dass der Tod von Margaret sehr rasch meinen eigenen zur Folge hätte, und dann könnte ich Eure Majestät nicht mehr mit meinen Albernheiten und Scherzen unterhalten.
Ich hoffe, Ihr befindet euch in guter Gesundheit, Sire, und leidet nicht an der großen Eiszeit, die unser Land heimgesucht hat.
Von Eurem getreuen Untertan
und treu ergebenen Narren
Sir R. Merivel
Jeden Tag betete ich, der Schnee möge schmelzen, so dass mein Brief nach London geschickt werden konnte, doch kein Tauwetter wollte kommen. Ich begann zu glauben, Margarets Leben hinge an diesem Brief, und wenn ich sie nur so lange am Leben halten könnte, bis die Straßen wieder passierbar wären, dann würde sie nicht sterben – ein Rat aus Whitehall würde sie retten.
Meine medizinischen Bücher erklärten mir, es
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