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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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in einem traurigen wässrigen Blau, das durchaus nach dem Geschmack des Königs war, mir jedoch ein wenig zu fade erschien.
    Ein großer französischer Schrank aus furniertem Walnussholz stand seit jeher in diesem Raum, und jetzt öffnete ich seine Türen, um jenen Duft aus seinem Inneren in meine Lunge zu ziehen, den Duft der Vergangenheit.
    Ich stand da und atmete tief durch die Nase. Und mein Verhalten erinnerte mich an ein witterndes Tier, das prüft, welche Art von Nahrung oder fleischlichem Vergnügen der Wind ihm herantragen mag; oder an einen Connaisseur von Wein, der an seinem Kelch schnüffelt und behauptet, er röche in einem Becher mit Rotwein Brombeeren und Ulmenholz und ich weiß nicht was sonst noch.
    Was ich riechen konnte, war meine Jugend. Die Erinnerung an ihre Vergnügungen drang durch meine Adern und wärmte mich. In eben diesem Zimmer hatte ich mit Violet Bathurst gelegen, hatte an ihren Kleidern gezerrt, und ihre schamlosen Forderungen hatten mich schwach gemacht.Hier hatten Will und ich John Pearce siebenunddreißig Stunden lang gepflegt. Und hier hatte ich die kleine Margaret in meinen Armen gehalten, als ich ihr jedes einzelne Zimmer des Hauses zeigte, das mir 1668 zurückgegeben worden war und das eines Tages ihr gehören würde.
    Mein jugendliches Ich befand sich, wie ich mich jetzt wieder erinnerte, in einem fortwährenden hitzigen Überschwang. So überschäumend vor Plänen und verrücktem Staunen war dieses Ich gewesen, dass ich mich an keinen Winter – bis auf einen – erinnern konnte, in dem ich gefroren hätte. Und gerade wollte ich mich darüber wundern, als ich auf dem Boden des Schranks ein in Leinen gehülltes großes Bündel entdeckte. Und ich wusste, was es enthielt.
    Ich nahm es heraus, legte es nieder, schlug das Leintuch auseinander, und vor mir lag ein großer Haufen Dachsfelle. Sie waren von meinem Schneider, dem guten alten Trench, einst zu Wappenröcken verarbeitet worden; das war im Winter 1665 gewesen, der, wie mir nun einfiel, lang und eisig gewesen war und in dessen Verlauf auch ich wie jeder andere zu frieren begonnen hatte.
    Ich hatte darauf bestanden, dass all meine Dienstboten meinem Beispiel folgen und diese Dachsfelle tragen sollten, »um Katarrh und Fieberfröste fernzuhalten«. Ich hatte sie gewarnt, wir würden allesamt ein wenig albern aussehen in diesen eigenartigen Kleidungsstücken (mit einer toten Dachsschnauze, die sich von jeder Schulter reckte), doch von ihnen hänge womöglich unser Überleben ab. »Was zählt schon das bisschen Albernheit«, fragte ich sie, »verglichen mit dem Tod?«
    Alle hatten sich bereit erklärt, die Pelze zu tragen. Alle bis auf Will.
    Will hatte sich abgewandt und geweigert, selbst unter Androhung verschiedenster Strafen, sein Fell anzulegen. Ich hatte mich bemüht, hatte ihn gedrängt und beschwatzt. Ich hatte ihn gewarnt, es würden ihn alle möglichen Leiden befallen, wenn er seinen Körper nicht auf diese Weise warm halte, doch er wollte nicht hören.
    »Ich werde es nicht tun, Sir Robert«, ließ er mich wissen, »und dabei bleibt es.«
    Mittlerweile waren die Felle ein wenig räudig von Mottenlöchern und gewürzt mit dem Staub der Zeit, und die Schnauzen reckten sich auch nicht mehr in die Höhe, sondern hingen recht schwermütig herunter, und viele der Glasaugen, die Trench eingenäht hatte, waren herausgefallen. Dennoch konnte ich, als ich die Kleidungsstücke jetzt ausschüttelte, fühlen, dass noch viel Wärme in ihnen war. Und so kam mir der Gedanke, sie auszubürsten, zu waschen und zu trocknen, genauso sorgfältig wie meine Perücke, und dann würde ich einige von ihnen auf Margarets Bett legen. Einen Pelz würde ich für mich behalten und die anderen unter die Dienstboten verteilen. »Kümmert euch nicht um die Mottenlöcher«, würde ich sagen, »denkt lieber an die Wärme, mit der das Fell eure Herzen umhüllen wird.«
    Ich stehe in meiner Bibliothek und verteile die gereinigten Felle.
    Als Will hereinkommt, rechne ich damit, dass er sich weigert, sein Fell anzulegen, doch das tut er nicht. Er zieht sich das Fell über den Kopf und schnürt es fest um seinen gekrümmten alten Körper.
    »Sehr schön, Will«, sage ich. »Es freut mich ganz außerordentlich, dass du es anziehst.«
    Er geht langsam durch das Zimmer auf die Tür zu. Das Fell schwingt beim Gehen um seine Waden, und der Mann erinnert mich an ein armes Bison, das ich einst auf einem Kupferstich sah, mit hängendem Kopf und völlig zerfetztem

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