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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Anbruch der Nacht getrunken, und all den Träumen und Wundern, die ich erlebt hatte, stark getrübt war.
    Doch nun waren jene Wunder endgültig entfleucht. Ich nahm Wills ausgestreckte Hand, hievte mich in eine sitzende Position und sah, wie das Zimmer sich in wilden Kreisen um mich drehte.
    »Will«, sagte ich, »es geht mir nicht gut. Ich kann nicht aufstehen.«
    »Ihr müsst aber. Oder wollt Ihr in Eurem Bett mit der Mistgabel aufgespießt werden?«
    »Mit der Mistgabel im Bett aufgespießt? Du redest Unsinn, Will. Du gehörst in ein Irrenhaus. Lass mich nun freundlicherweise schlafen …«
    »Nein. Ausnahmsweise müsst Ihr einmal tun, was ich sage, Sir Robert. Etwas Schlimmes ist geschehen.«
    »Etwas Schlimmes?«
    »Leider ja.«
    »Wie spät ist es?«
    »Kurz vor sechs. Bitte bleibt aufrecht sitzen, Sir Robert, während ich Euch die Hosen anziehe.«
    Ich saß schwankend da und dachte, dass ich mich wohl gleich über Wills altem Kopf erbrechen würde, während er mein Nachthemd in die Hosen stopfte.
    »Was kann denn Schlimmes so früh am Morgen geschehen sein? Um diese Stunde bin ich gewöhnlich nicht wach …«
    »Das weiß ich, Sir …«
    »Ich habe immer gedacht, es könne ernstlich nichts geschehen, ehe ich nicht … Reich mir jetzt den Nachttopf, Will. Mir wird gleich übel.«
    Will suchte nach dem Topf und hielt ihn mir eben noch rechtzeitig hin, um einen Sturzbach aus braunem Erbrochenem aufzufangen, das nach Branntwein und Arznei stank.
    So grässlich hatte ich mich schon lange nicht mehr erbrochen, und es tat mir leid um Will, der zusehen und alles riechen musste, doch die Wirkung war heilsam, denn danach fühlte sich mein Kopf ein wenig klarer an.
    Indem ich mir den Mund abwischte und die Nase schnäuzte, fragte ich: »Was für eine schlimme Sache ist uns denn widerfahren, Will? Ist Lady Bathurst tot?«
    »Nicht Lady Bathurst. Sondern ein Schaf.«
    »Ein Schaf?«
    »Ja, Sir.«
    »Und wieso werde ich dafür aufgeweckt? Sterben Schafe nicht die ganze Zeit? Mir scheint, schon in der Bibel verheddern sie sich ständig in Dornbüschen oder werden geopfert …«
    »Es ist Euer Bär, Sir Robert. Er ist aus der Umfriedung ausgebrochen und tötet das Vieh. So, und nun steht bitte auf und setzt Eure Perücke auf. Euer Haar ist sehr zerzaust.«
    Ich erhob mich, während Will meine Perücke bürstete und sie mir aufsetzte.
    »Das muss ein Irrtum sein«, erklärte ich. »Der Zaun der Einfriedung ist sehr stark, und ich habe nie gesehen, dass der Bär ihn zu überklettern versuchte.«
    »Nun, irgendwie ist er draußen. Und jetzt müsst Ihr Euch dem Zorn der Bauern stellen.«
    Leicht taumelnd stieg ich die Treppe hinunter. Meine Beine schienen unter meinem Gewicht zusammenbrechen zu wollen. In der Diele sah ich eine Gruppe von fünf Männern, die Mistgabeln und Schaufeln trugen, und einer von ihnen hatte eine Donnerbüchse geschultert.
    Als sie mich sahen, redeten sie alle sofort auf mich ein,ohne jede höflichen Artigkeiten. Sie erklärten mir, eine wilde Bestie streife über ihre Felder, und sie machten mich dafür verantwortlich, und sie würden Rechnungen über jeden einzelnen Verlust vorlegen. Während sie mich weiter anschrien, warfen sie den blutigen Kadaver eines Schafs auf die Steinfliesen der Diele.
    »Ich kann nicht hören, was ihr sagt, wenn ihr alle gleichzeitig redet«, sagte ich. »Verstehe ich recht, dass mein Lieblingstier Clarendon – das Seine Majestät, der König, so benannte – Schaden angerichtet hat?«
    »Er mag ja Euer Lieblingstier sein, Sir Robert«, sagte der Donnerbüchsenmann, »aber er ist eine Bestie! Seht Euch dieses Mutterschaf an. Zerfleischt und halb gefressen! Als Nächstes sind unsere Kinder dran.«
    Ich blickte hinab in die wütenden Gesichter. Ich hatte diese Leute schon früher gesehen, einige wenige Male in all den Jahren, aber nie in meinem Haus, und erst jetzt, hier in meiner prächtigen Diele, begriff ich, wie arm sie waren, diese Menschen in ihren aus Lumpen zusammengebundenen Kleidern und ihren schweren, abgetragenen Stiefeln. Sie stanken nach Erde und ungewaschener Haut. Eine neue Welle der Übelkeit stieg in mir hoch, und ich setzte mich rasch auf die Treppenstufen.
    »Was, meint ihr, soll ich denn tun?«, fragte ich kleinmütig. »Wie ihr seht, ist mir heute nicht wohl …«
    »Das kann uns jetzt nicht kümmern, Sir. Wollt Ihr, dass wir ruiniert werden, unser gesamtes Vieh uns genommen wird? Wollt Ihr, dass unsere Kinder umgebracht werden?«
    »Nein, natürlich

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