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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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letzte Steigung zu den Garagen und dem Gästehaus nahm, fiel ihm auf, dass er die Seitentür zum Salon offen stehen gelassen hatte.
    Er überwand die sechs Stufen zur Terrasse und dann die sechs weiteren zum Haupteingang. Er schloss die Tür auf und warf einen Blick ins Innere des Hauses. Die Lampen brannten immer noch, die Uhr lag neben der Weinflasche und dem Glas auf dem philippinischen Teppich, das Gemälde von Miró hing nach wie vor an der breiten Wand des Esszimmers. Die Einsamkeit war mit Händen zu greifen, sie überlagerte die Erinnerungen an alkoholisierte Nächte und lebhafte Gespräche, die in eben diesem Zimmer stattgefunden hatten, häufig eingeleitet durch die Salutschüsse und das Geknatter der beiden kleinen Bronzekanonen, mit denen er früher ganz besondere Gäste zu empfangen pflegte. Black Dog stand auf der Schwelle und schnupperte, und als er Anstalten machte, ins Haus zu kommen, sagte er zu ihm: »Aus, Black Dog … Genug für heute.« Das Tier blieb stehen und sah sein Herrchen an. »Geh auf deinen Teppich und pass gut auf das Haus auf … Bist doch ein großer Hund«, fügte er hinzu, kraulte ihm den Kopf und zog ihn sanft an den Ohren.
    Er verschloss die Haustür und dann die der von einer Pergola überdachten Terrasse. Warum bloß hatte er vergessen, sie beim Hinausgehen zu schließen? Während er noch mit sich selbst schimpfte, ging er zu der hölzernen Minibar, goss sich einen doppelten Gin ein und leerte das Glas auf einen Zug, so als kippe er widerwillig eine bittere Medizin zur Beruhigung seiner Nerven hinunter. Er knipste die Lampen aus, ließ aber die in der Nähe seines Zimmers brennen, um nicht ganz im Dunkeln zu sein. Wenn Miss Mary nicht da war, zog er es vor, in seinem Arbeitszimmer zu schlafen, denn er fühlte sich dann weniger einsam und verlassen als in dem breiten Doppelbett, das zur Hälfte leer war. Im Zimmer legte er die Thompson ab und lehnte sie neben den alten Knüppel aus Kürbisbaumholz gegen das Bücherregal, in dem die verschiedenen Ausgaben seiner Werke standen. Da er eigentlich vorgehabt hatte, die Maschinenpistole in den Turm zurückzubringen, wollte er sie in Blick- und Reichweite haben, um sein Vorhaben nicht wieder zu vergessen.
    Sein Lager war mehr als zur Hälfte mit Zeitungen, Zeitschriften und Briefen bedeckt. Er nahm die Tagesdecke an den Enden hoch, machte ein großes Bündel und warf es zwischen das Bett und das zum Swimmingpool offene Fenster. Als würde er zum Schafott geführt, ging er ins Badezimmer, urinierte – ein trüber, zähflüssiger Schaum –, legte seinen 22er-Revolver auf den Rand des Waschbeckens und zog sich aus, wobei er das Hemd und die Bermudas zwischen Kloschüssel und Bidet fallen ließ. Er nahm den gestreiften Pyjama vom Holzhaken, zog jedoch nur die Hose an. Für die Jacke war es zu heiß. Wie jeden Abend stellte er sich auf die Waage und schrieb das Ergebnis samt Datum an die Wand: 2. Okt. 58: 220. Sein Gewicht hatte sich im letzten Jahr nicht verändert, stellte er zufrieden fest.
    Er nahm den Revolver, ging ins Zimmer zurück, holte aus der Schreibtischschublade das schwarze Spitzenhöschen und wickelte den Revolver hinein. Er legte ihn ganz hinten in die oberste Schublade, zwischen mehrere Schachteln Revolverkugeln und zwei Dolche. Dann ging er zum Bett hinüber, verweilte aber einen Moment vor seiner treuen »Royal«, Modell »Arrow«. Neben der Reiseschreibmaschine lagen unter einem Kupferblock die letzten getippten Seiten jenes verfluchten Romans, der einfach nicht rund werden wollte. Mit einem seiner stets gespitzten Bleistifte schrieb er das Datum auf das letzte Blatt: 2. Okt. 58.
    Er schaute das Bett an, konnte sich aber noch nicht entschließen, schlafen zu gehen. Das angenehme Gefühl des Alleinseins war verschwunden und hatte einem tief sitzenden Unbehagen Platz gemacht, das ihn frösteln ließ. Sein ganzes Leben lang waren immer Leute um ihn gewesen, die er auf die eine oder andere Weise zu seinem Hofstaat gemacht hatte. Nur bei vier Tätigkeiten hatte er darauf verzichtet, denn sie musste er alleine oder höchstens mit einem Partner oder einer Partnerin ausüben: Jagen, Fischen, Lieben und Schreiben. Obwohl er in Paris einige seiner besten Erzählungen in Cafés geschrieben hatte, inmitten von Leuten, und das Hochseefischen so manches Mal in eine wilde Party zwischen den Inseln im Golf ausgeartet war … Sein übriges Leben jedoch durfte, ja musste ein quirliges Chaos sein, seit er als Jugendlicher herausgefunden

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