Adiós Hemingway
Geschichte, die allmählich gefährlich heiß wurde, ans Tageslicht gekommen waren.
Kurz darauf kam der Teniente mit dem Museumsleiter zurück, den er offenbar bereits mit El Condes Wünschen vertraut gemacht hatte. Juan Tenorio schien nicht gerade begeistert. Misstrauisch sah er den Leiter der Polizeiaktion an, der seines Wissens weder Leiter noch bei der Polizei war.
»Wo genau lag der Hahnenkampfplatz?«, fragte ihn El Conde.
»Also … Ja, genau dort, wo die Leiche gefunden wurde«, antwortete der Direktor.
»Und warum haben Sie das nicht früher gesagt?«
»Na ja …«, stammelte Tenorio, dessen Selbstsicherheit ebenfalls wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen war. »Ich konnte mir doch nicht vorstellen …«
»Man muss mehr Vorstellungskraft entwickeln, Genosse«, belehrte El Conde ihn in bester hemingwayscher Manier: die Fehler und Versäumnisse anderer aufdecken, um sie ihnen dann großmütig zu verzeihen. »Aber das ist jetzt nicht mehr so wichtig. Gehen wir rein.«
Der Museumsleiter ging voran und schloss auf.
»Was suchst du eigentlich, Conde?«, tuschelte Manolo.
»Ich möchte wissen, was in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1958 in diesem Haus passiert ist.«
Während der Museumsdirektor die Fenster öffnete, ging El Conde, gefolgt von Manolo, in das Zimmer, in dem sich die Bibliothek befand.
»Sieh mal«, sagte er und zeigte auf die zweite Regalreihe neben der Tür. Zwischen Die Falle von Enrique Serpa und einer Mozart-Biografie sprang ihnen der breite Rücken eines Buches ins Auge, auf dem in roten Buchstaben der Titel stand: The FBI Story. »Das Thema muss ihn sehr interessiert haben, offensichtlich hat er das Buch gleich mehrmals gelesen. Und schau mal, wer das Vorwort geschrieben hat! Sein guter alter Freund Hoover, derselbe, dem er die Bespitzelung zu verdanken hatte.« Und zum Direktor gewandt: »Ich brauche Hemingways Pässe und sämtliche Papiere, die das Haus betreffen. Rechnungen, Quittungen, Steuerbescheide …«
»Sofort. Die Papiere sind alle hier.« Tenorio ging zu einem hölzernen Aktenschrank.
»Manolo, such doch bitte alles raus, was den 2. bis 4. Oktober 1958 betrifft. Wenn du willst, sag Cabo Fleites Bescheid, er kann dir helfen.«
»Kann er nicht.«
»Was hat er denn?«
»Er hat sich so sehr über den Fund der Kugel gefreut, dass er gleich in die nächste Bar gegangen ist, um ein paar Gläschen zu kippen.«
»Wo ist denn hier ne Bar? ich seh keine.«
Der Direktor ging zweimal zwischen Aktenschrank und Schreibtisch hin und her und legte Stapel von Papieren in Kartons und gelblichen Briefumschlägen auf den langen, halbrunden Schreibtisch in der hinteren Ecke der Bibliothek. El Conde atmete den angenehmen Geruch nach altem Papier ein.
»Gehen Sie bitte vorsichtig damit um, diese Papiere sind von größter Wichtigkeit.«
»Ja, ja«, sagte El Conde. »Und die Pässe?«
»Die sind in meinem Büro, ich hol sie sofort.«
Toribio eilte hinaus. Manolo setzte sich grummelnd hinter den Schreibtisch. »Immer kriegst du mich ran, Conde«, schimpfte er. »Am Ende bin ich der Doofe und muss in Papieren wühlen …«
El Conde hörte nicht hin. Wie von wissenschaftlicher Neugier getrieben fuhr sein Blick über Bücher, Wände und Gegenstände. Langsam verließ er die Bibliothek. Mit einem Blick durch ein Fenster des Salons vergewisserte er sich, dass der Direktor auch tatsächlich zu den Büros hinüberging, die in den ehemaligen Garagen untergebracht waren, und dann begab er sich rasch in Richtung Arbeitszimmer. Hinten, neben dem Bad, befand sich das Ankleidezimmer des Schriftstellers, in dem seine Hosen und Jacken für die Jagd in Afrika und den Vereinigten Staaten hingen, seine Angelwesten, ein dicker Militärmantel und sogar ein alter, goldglänzender Stierkampfanzug, bestimmt das Geschenk eines jener berühmten Toreros, die er so sehr bewundert hatte. Auf dem Boden, in perfekter Ordnung, die es im wirklichen Leben nicht gibt, standen seine Jagd- und Angelstiefel und die des Kriegsberichterstatters an den Fronten Europas. Es roch nach totem Leder, nach billigem Insektenpulver, nach Vergessen. El Conde schloss die Augen und konzentrierte sich auf seinen Geruchssinn, schnupperte wie ein Raubtier, bereit für den entscheidenden Prankenhieb. Etwas in dieser Kammer der Erinnerungen roch nach Haut und Blut. Fast automatisch streckte er die Hand zu einem Schuhkarton aus, der neben dem Schrank stand. Von Feuchtigkeit und Altersflecken gesprenkelte Taschentücher schauten ihn
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