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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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Buch auf der Brust und die Brille auf der Nase. Aber ein Fünkchen Bewusstsein brannte weiterhin in ihm wie die Leselampe neben seinem Bett, die auszuknipsen er nicht mehr geschafft hatte. Im Niemandsland zwischen Schlafen und Wachen meinte er das entfernte, hartnäckige Bellen von Black Dog zu hören, bis es ihm schließlich gelang, die Augen wieder zu öffnen, und er anstelle des Büffelkopfes das verschwommene Bild des Mannes sah, der ihn beobachtete.
     
    El Conde kannte das Gesicht. Er hatte es zu oft gesehen, um nicht den triumphierenden Spott darin zu bemerken. »Du hast mir also was Interessantes zu erzählen?«, fragte er den Ermittler Manuel Palacios mit der Stimme eines Mannes, der auf eine Überraschung gefasst ist.
    »Woher weißt du das?«
    »Guck doch mal in den Spiegel.«
    Sie blieben unter den Betelnusspalmen stehen, die vor dem Haus ein kleines Rondell bildeten. El Conde sah Manolo ins süffisant grinsende Gesicht.
    »Ich glaube, die Leiche kann jetzt ordnungsgemäß bestattet werden«, verkündete der Teniente und langte in seine Hosentasche. »Hier, schau dir das an.«
    Er sah die Bleikugel auf Manolos ausgestreckter Handfläche. Sie war dunkelgrau – Unheil verkündend, fand El Conde – und wies in den Rillen Erdspuren auf.
    »Die Erde hat wieder was herausgerückt«, sagte Manolo. »Wir haben sie heute Morgen gefunden.«
    »Nur eine? Hat man ihm nicht zwei verpasst?«
    »Wer weiß, wo die andere gelandet ist …«
    »Ja, wer weiß das schon … Und, kennt man auch schon die dazu passende Waffe?«
    »Wir sind nicht sicher, aber Cabo Fleites meint, sie müsste aus einer Thompson stammen. Du weißt ja, er ist Spezialist in Sachen Ballistik. Ist nur gerade verdonnert worden, wegen Trunkenheit im Dienst.«
    »Werden neuerdings besoffene Spezialisten bestraft? Oder soll ich sagen, nur spezielle Besoffene?«
    Manolo fand das nicht lustig. »Hemingway besaß eine Thompson«, fuhr er fort. »Hat sie häufig bei der Haifischjagd benutzt, sagt Tenorio. Aber es kommt noch besser! Wir haben die Inventarlisten überprüft, die Thompson befindet sich weder unter den Waffen, die auf der Finca zurückgeblieben sind, noch unter den Dingen, die die Witwe nach seinem Selbstmord mitgenommen hat. Übrigens, die feine Dame hat sich alle wertvollen Gemälde unter den Nagel gerissen …«
    »Aber ich hab die Thompson gesehen! Die Erde hat sie jedenfalls nicht verschluckt …«
    »Gar keine schlechte Idee. Vielleicht ist sie auch irgendwo vergraben.«
    »Wenn jemand eine Waffe verschwinden lassen will, vergräbt er sie nicht. Er wirft sie ins Meer. Und wenn er eine Jacht hat …«
    »Sieh mal an. El Conde, der Alleswisser, wie immer!«, erwiderte Manolo spöttisch. »Interessiert mich aber ’n Scheißdreck, wo die Thompson geblieben ist. Und du, du kannst dir deine Vermutungen sonst wohin stecken … Aber jetzt halt dich fest! In den Polizeiarchiven haben wir den Fall eines FBI-Agenten gefunden, der im Oktober 58 in Kuba verschwunden ist. Es handelt sich um einen gewissen John Kirk, der zur amerikanischen Botschaft in Havanna gehörte, zuständig für Routinearbeiten, nichts Wichtiges. Jedenfalls haben das seine Vorgesetzten gesagt, als er vermisst wurde. Und wahrscheinlich stimmt das sogar. Er war nämlich fast sechzig, und außerdem hinkte er. Er ist nie gefunden worden, und nach dem Sieg der Revolution hat sich auch keiner mehr die Mühe gemacht, ihn zu suchen.«
    »Ist der hinkende John Kirk zufällig am 2. Oktober verschwunden?«
    Er war ein Meister darin, derartige Überraschungscoups zu landen, und genoss ihre verheerende Wirkung. Manolos Selbstsicherheit fiel in sich zusammen, seine Augen drehten sich in entgegengesetzte Richtungen. Er starrte El Conde mit halb offenem Mund an, während das rechte Auge mehr und mehr abdriftete.
    »Wie zum Teufel hast du …«
    »Das kommt davon, wenn du hier den dicken Max markieren willst.« El Conde grinste zufrieden. »Hör zu, Manolo, du musst mir helfen. Ich hab dir nämlich auch was Interessantes zu erzählen, da bin ich ganz sicher. Ruf den Museumsdirektor, ich muss mir das Haus noch mal von innen ansehen. Und sag ihm, er darf nur dann reden, wenn ich ihn was frage, okay?«
    Manolo sah ihm staunend und voller Bewunderung hinterher.
    El Conde ging die Stufen zur Terrasse hinauf und schaute mit dem Rücken zum Haus über den weitläufigen Garten der Finca und dann zu der Stelle, wo eine Leiche, eine Kugel aus einer Maschinenpistole, eine Dienstmarke des FBI und eine

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