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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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hatte, wie gerne er im Mittelpunkt stand, Anführer war und Befehle erteilte. Als Anführer einer abenteuerlustigen Clique hatte er die Stierkampfwochen in Pamplona, die Sanfermines, mitgemacht und Dos Passos bewiesen, dass er genug Eier hatte, um sich vor einen imposanten Stier zu stellen und ihn an der Stirn zu berühren. Mit Männern, die ihn ebenfalls bewunderten, hatte er an den Offensiven der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg teilgenommen, war von Front zu Front geeilt, um den Film Die spanische Erde zu drehen. Im Hotel ›Florida‹ hatte er sich mit Wein, Whisky und Gin voll laufen lassen, während die Bomben auf Madrid gefallen waren. Mit einer Bande zwielichtiger Gestalten, seiner »Gaunerfabrik«, war er fast ein ganzes Jahr, unter dem Vorwand, deutsche U-Boote zu jagen, zwischen den kleinen Inseln vor der Nordküste Kubas, den Cayos, umhergeschippert, schlecht ausgerüstet, aber bestens versorgt mit Rum und Eis. Mit einem Trupp kampferprobter Maquisards und zwei mit Whisky und Gin randvollen Kürbisflaschen war er nach der Landung der Alliierten in der Normandie zu den Linien der Nazis vorgedrungen und hatte sich mit diesen abgehärteten Untergrundkämpfern an der heldenhaften Befreiung des ›Ritz‹ beteiligt, wo er sich dann wieder mit Wein, noch mehr Whisky und noch mehr Gin hatte voll laufen lassen … Die hinterfotzige Martha Gellhorn, diese falsche Schlange, die intime Geschichten über ihn herausposaunte und aller Welt erzählte, er sei fleißig, aber kalt und fantasielos im Bett, sie behauptete, dass sein Bedürfnis nach Gesellschaft der Beweis für seine latente Homosexualität sei. Die alte Hure! Schrie und flehte einen an, in den Arsch gefickt und in die Brustwarzen gebissen zu werden, bis sie vor Lust und Schmerzen brüllte!
    Er saß auf dem Bett und starrte in die Nacht hinaus. Die Hitze zwang ihn, das Fenster offen stehen zu lassen. Zwei Schritte von ihm entfernt befand sich die Thompson, er brauchte nur den Arm auszustrecken, um sie zu berühren. Aber nicht einmal so fühlte er sich sicher. Deswegen stand er wieder auf, holte seinen Revolver aus der Schublade und legte ihn auf das Nachttischchen neben dem Bett, in dem er schlafen würde. Vorher schnupperte er an dem schwarzen Spitzenstoff, doch der weibliche Duft war schon längst vom herben Männergeruch nach Gewehrfett und Pulver überlagert. Dennoch … eine hübsche Erinnerung.
    Er ließ seinen Kopf aufs Kissen sinken. Sein Blick fiel auf die geliebte alte Mannlicher an der Wand. Das Repetiergewehr war halb verdeckt von dem prachtvollen, riesigen Kopf des afrikanischen Büffels, den er 1934 während seiner ersten Safari auf der Serengeti-Ebene erlegt hatte. Eine sanfte Welle der Erleichterung durchflutete seinen Körper, als er den herrlichen Kopf des Tieres sah. Während der Verfolgung des Büffels und im Augenblick seines Opfertodes hatte sich ihm so vieles offenbart: die lähmende Kraft der Angst, die Gewissheit des Todes und die erlösende Fähigkeit, ihn unbeschwert zu akzeptieren. Das hatte ihn zu Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber inspiriert. Töten zu lernen, während einem der eigene Tod droht – diese Lektion ist für einen Mann unverzichtbar, dachte er. Schade, dass der Satz in dieser präzisen Formulierung, die ihm soeben gelungen war, in keiner der Erzählungen über die Jagd, den Tod und den Krieg vorkam.
    Mit diesem schönen, wahren Satz auf der Zunge, dem afrikanischen Büffel über sich, fing er an zu lesen, um Schlaf zu finden. Ein paar Tage zuvor hatte er mit dem absurden und verwirrenden Roman eines gewissen J. D. Salinger begonnen, der in seinem Leben nur das eine Verdienst erworben hatte, als Sergeant aus dem Frankreich-Feldzug halb verrückt heimzukehren. Der Roman handelte von den Abenteuern eines unverschämten, flegelhaften Jungen, der von zu Hause abhauen will und wie eine Figur von Mark Twain, allerdings in einer modernen Stadt Nordamerikas, die Welt aus seiner verdrehten Perspektive zu entdecken beginnt. Die Geschichte war mehr als voraussehbar, ohne jede epische Größe, also wertlose Literatur. Er hatte nur weitergelesen, um herauszufinden, aus welchen geheimnisvollen Gründen dieses alberne Buch zu einem Verkaufsschlager geworden und der Autor als sensationeller Erneuerer der Erzählkunst in der amerikanischen Literatur gehandelt wurde. Wir sind im Arsch, dachte er, aber es lag ein Unterton von Zweifel darin.
    Er verpasste den Moment des Einschlafens, die Augen fielen ihm zu, das

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