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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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Zeitungskiosk ein öffentliches Telefon.
    Ein noch größeres Wunder aber war es, dass er gleich beim ersten Versuch eine Verbindung zur Kripozentrale bekam und die Telefonistin ihn mit Teniente Palacios verband.
    »Was gibts, Conde? Ich bin so gut wie weg.«
    »Gut, dass ich dich noch erwische. Bevor du weg bist, musst du noch einen Anruf für mich erledigen.«
    »Was hast du denn jetzt schon wieder?«
    »Jetzt hab ich wirklich eine Vorahnung, Manolo.«
    »Ach du Scheiße!«, entfuhr es dem Teniente, denn er kannte das Thema und wusste, was das zu bedeuten hatte.
    »Eine schöne, gute Vorahnung. Eine von den besten, die ich je gehabt habe, glaub ich. Hör zu, du rufst in der Nationalbibliothek an und sagst denen, sie sollen alle Bücher rausrücken, die ich haben will, und zwar zügig! Du weißt ja, wie viel Zeit sich die Spinner lassen und wie die sich bei bestimmten Titeln anstellen.«
    »Und was suchst du? Ich mein, wenn man fragen darf.«
    »Ein Datum. Erzähl ich dir später.«
    »Trifft sich gut, ich hab dir nämlich auch was Interessantes zu erzählen. Jetzt muss ich erst mal auf ’ne Versammlung, aber so gegen zwei kann ich zur Finca Vigía kommen. Sehen wir uns da?«
    »Sag mal, Manolo, meinst du, ich hätt ’n Propeller am Arsch?«
    »Nur damit du weißt, wie lieb ich dich hab: Halt dich gut fest, um halb zwei steht ein Dienstwagen mit Chauffeur für dich vor der Bibliothek«, versprach der Teniente. »Also, wir sehen uns dann auf der Finca. Es gibt Neuigkeiten. Ach ja, komm bloß nicht auf die Idee, ein Buch aus der Bibliothek mitgehen zu lassen«, fügte er hinzu und legte auf.
    Jetzt, mitten im Sommer, in den Semesterferien, herrschte in der Bibliothek eine friedliche Stille, die Marios innere Unruhe dämpfte und seine Ängste verscheuchte. In die Welt der Bücher einzutauchen, auf der Suche nach etwas in Hemingways Leben und Werk, das bisher vielleicht niemand gesucht hatte, weckte in ihm ein Wohlgefühl, wie es nur hoffnungslose Büchernarren kennen. In Momenten wie diesem stellte sich El Conde gerne vor, dass die Bücher sprechen konnten und ein eigenständiges Leben führten. Dann wurde ihm bewusst, dass die Liebe zu diesen toten Gegenständen ihm im Laufe der Jahre ein Glück geschenkt hatte, das anders war als alle anderen Spielarten des Glücks, mit denen er zurzeit seinen Lebensunterhalt bestritt. Ja, die Bücher, seufzte er. Sie zählten zu den wichtigsten Dingen in seinem Leben, das an wirklich wichtigen Dingen immer ärmer wurde. Und er begann sie im Geiste aufzuzählen: Freundschaft, Kaffee, Zigaretten, Rum, Vögeln hin und wieder – ach, Tamara!, ach, Ava Gardner! – und die Literatur.
    An der Ausleihe der Nationalbibliothek vergewisserte er sich, dass man hier den Befehl hatte, alle seine Wünsche so rasch wie möglich zu erfüllen. Einiges schien immerhin zu funktionieren auf dieser Insel. Aber eben nur einiges. Überrascht stellte El Conde fest, dass in der Kartei zwar fast das gesamte erzählerische und journalistische Werk Hemingways, jedoch kaum etwas über sein Leben zu finden war. Er schrieb die spanischen und englischen Titel der spärlichen Sekundärliteratur auf seinen Bestellzettel und bat, sie ihm zu bringen. Seine Suche konzentrierte sich auf etwas ganz Bestimmtes: auf den Oktober 1958.
    Drei Biografien und vier kritische Essays lagen vor ihm auf dem Tisch. El Conde zündete sich eine Zigarette an, pumpte die Lungen mit Nikotin voll und stürzte sich wie ein Taucher in die Arbeit. Er begann mit den letzten Kapiteln der Biografien. Eine sprang von der Verleihung des Nobelpreises direkt zur Veröffentlichung von Gefährlicher Sommer in der Zeitschrift Life im Jahre 1960, ohne auf das Jahr 1958 in Kuba einzugehen. Eine zweite, die viele Fotos enthielt, erwähnte lediglich, dass Hemingway sich »mehrere Monate« in Havanna aufgehalten habe. Von den Fotos, die in dem Band abgebildet waren, kannte er viele noch nicht. Sie zeigten Hemingway en famille, fernab der heroischen Schauplätze seines Lebens. Alte Fotos, auf denen er mit seinen Schwestern zu sehen war oder mit seiner Mutter, die ihn unbedingt wie ein Mädchen kleiden wollte; Bilder aus dem Alltag der Finca Vigía, beim Essen, mit seinen Söhnen, mit Mary Welsh in liebevoller Umarmung, mit seinen Katzen und seinem Hund Black Dog, der mit intelligentem Gesichtsausdruck in die Kamera blickte; Erinnerungen an die glückliche Zeit mit Hadley und mit Pauline, den beiden ersten Ehefrauen und Müttern seiner drei Söhne; Bilder

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