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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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Vergangenheit erreichen konnten. Mario sah auf den Boden vor sich und beendete seine Zeichnung. Sie sollte eine Jacht auf stürmischer See darstellen, mit zwei riesigen Kakerlaken-Antennen.
    »Und jetzt kommt die Pilar ins Spiel«, sagte er und schlug mit dem Zweig heftig auf den Boden. Ruperto senkte langsam den Blick.
    »Die sah ganz anders aus«, stellte er fest.
    »In Zeichnen und Werken hatte ich immer eine Fünf.
    Eine Katastrophe, die mich mein Leben lang begleitet hat … Nicht mal Papierschiffchen kann ich falten«, fügte er bedauernd hinzu. »Aber kommen wir zu der echten Pilar zurück. Sie stach am 3. Oktober in See und brachte Calixto nach Mexiko. Hemingway war nicht an Bord, er musste ja seine Reise in die Vereinigten Staaten vorbereiten. Sie aber, Sie waren an Bord, denn die Jacht wurde ja nur von Ihnen beiden gesteuert. Und noch einer von der Finca fuhr mit, als Matrose. Wars Raúl? Oder Toribio? Ich glaub, es war Toribio. Raúl wird wohl dageblieben sein, um seinem Papa die Koffer zu packen … Übrigens, auf der Fahrt nach Mexiko ist auch die Thompson verschwunden. Sie liegt jetzt irgendwo im Golf von Mexiko, stimmts?«
    Und er zeichnete einen hohen Bogen von der Jacht aus und ließ ihn im aufgewühlten Meer der Fantasie versinken. Er legte den Zweig zur Seite und schaute den Alten erwartungsvoll an.
    Ruperto starrte wieder auf die andere Seite des Flusses. »Sie glauben wohl, Sie wüssten alles, ja?«
    »Nein, Ruperto. Aber ich weiß ein paar Dinge, stelle mir ein paar andere vor und würde gern noch ein paar mehr wissen. Deswegen bin ich hier. Weil Sie diese Dinge wissen. Vielleicht nicht alle, aber wenigstens ein paar …«
    »Und wenn es tatsächlich so wäre, wie Sie sagen, warum sollte ich Ihnen davon erzählen?«
    El Conde angelte sich eine weitere Zigarette aus dem Päckchen und steckte sie sich zwischen die Lippen. Mit dem Feuerzeug in der Hand hielt er plötzlich inne.
    »Aus mehreren Gründen«, erwiderte er. »Erstens, weil ich nicht glaube, dass Sie der Mörder sind. Zweitens, weil Sie ein anständiger, loyaler Mensch sind. Als Sie die Pilar verkaufen konnten, haben Sie das nicht getan und sie dem Staat übergeben, damit sie Teil des Museums wurde. Und die Jacht war einige Tausend Dollar wert! Mit dem Geld hätte sich Ihr Leben schlagartig verändert. Aber nein, das Andenken an Papa war Ihnen wichtiger. So etwas ist heutzutage selten, ist sozusagen nicht mehr üblich. Was wie eine Dummheit aussieht, ist in Wirklichkeit eine unglaublich edle Geste. Und damit sind wir beim dritten Grund, warum Sie mir bestimmte Dinge erzählen sollten. Kann sein, dass Hemingway den Agenten getötet hat, aber es kann genauso gut sein, dass er es nicht war. Wenn er es aber war und wir das an die Öffentlichkeit bringen, wird man ihn in der Luft zerreißen. Die Leute mögen so Typen wie ihn nicht. Zu viele Waffen, zu viele Prügeleien, zu viele Heldentaten. Und auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, er hat sich vielen Menschen gegenüber ziemlich beschissen verhalten. Wenn wir verlauten lassen, dass er ein Mörder war, geht auch das noch zum Teufel, was von ihm übrig geblieben ist. Aber vielleicht hat Hemingway es ja nicht getan. Vielleicht hat der selbstgefällige Mann, den die Leute nicht mögen, an jenem Tag etwas getan, was Respekt abverlangt. Vielleicht hat einer seiner Angestellten den FBI- Agenten getötet, er wollte ihn decken und hat die Leiche auf seiner Finca vergraben. Das wäre doch eine Tat, die Respekt verdient, meinen Sie nicht? Und wie ich Ihnen schon gesagt habe: Ich fände es nicht richtig, wenn man ihm einen Mord anhängt, den er nicht begangen hat.«
    Ruperto schob sich den Zigarrenstummel zwischen die Lippen und rieb seinen Rücken am Baumstamm, als suche er eine komfortablere Position für sein Gerippe und sein Selbstvertrauen. In den Runzeln um seine Augen begann es verdächtig zu glitzern. El Conde beschloss, die letzte Karte auszuspielen und auf volles Risiko zu gehen.
    Zuvor jedoch zündete er sich die Zigarette an. »Was in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1958 geschah, war eine Katastrophe für Hemingway. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass er sich in seinen letzten Lebensjahren vom FBI verfolgt fühlte. Die Ärzte glaubten, es handle sich um Einbildung, eine Art Verfolgungswahn. Und um ihn davon zu kurieren, verpassten Sie ihm fünfundzwanzig Elektroschocks. Diese Arschlöcher!«, konnte er sich nicht verkneifen zu rufen. »Zuerst fünfzehn, dann noch mal zehn. Sie

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